Desertec-Erfinder Gerhard Knies hält die Risiken der Kernenergie für unkontrollierbar

Hamburg. Der Hamburger Physiker Gerhard Knies ist geistiger Vater des weltweit größten Energieprojekts Desertec. Er will Sonnenstrom aus der Wüste Afrikas nach Europa holen. Die drohende atomare Katastrophe in Japan bestätigt den 73-Jährigen in seinem Einsatz für eine sichere Energieversorgung.

Hamburger Abendblatt:

Was kann die Menschheit aus den dramatischen Vorfällen in Japan lernen?

Gerhard Knies:

Ob die Menschheit als Ganzes etwas lernt, weiß ich nicht. Aber vielleicht lernen jetzt wichtige Entscheider, dass wir in eine andere Richtung gehen müssen. Ich habe vor 25 Jahren nach dem GAU in Tschernobyl erkannt, dass die Kerntechnik nicht beherrschbar ist. Damals ging es um menschliches Versagen. Diesmal hat die Natur Unvorstellbares angerichtet. Und vielleicht erkennen die Menschen jetzt, dass die Risikopotenziale der Kernenergie zu groß sind und große Teile unserer Erde und unseres Lebens zerstören können. Die tödlichen Folgen dürfen der Menschheit nicht länger zugemutet werden. Wir können die Risiken dämpfen, aber wir werden sie, wie man jetzt sieht, nie unter Kontrolle bekommen.

Was ist so gefährlich bei der Nutzung der Kernenergie?

Knies:

Entscheidend ist: Wenn durch äußere Einwirkungen das Kühlsystem ausfällt, kann es leicht passieren, dass man die Kontrolle über das ganze System verliert. Wenn es zur Kernschmelze kommt, ist der Reaktor nicht mehr steuerbar. Man kann ihn zwar vorher abschalten, aber das radioaktive Inventar zerfällt nach den Gesetzen des Zufalls über einen gewissen Zeitraum. Innerhalb von Minuten bis Stunden wird noch erheblich viel Energie freigesetzt. Diese Energie muss abgeführt werden, sonst erhitzt sie den Reaktorkern und dieser schmilzt.

Wird es durch die Ereignisse in Japan zu einem Umdenken in Deutschland kommen?

Knies:

Deutschland hatte doch schon umgedacht. Es gab ja einen Ausstiegsbeschluss. Jetzt hoffe ich, dass diejenigen, die den Ausstieg vom Ausstieg beschlossen haben, davon wieder abkehren.

Wäre es möglich, in Deutschland ohne Atomenergie auszukommen?

Knies:

Ja, es gibt zahlreiche Untersuchungen, die dieses belegen. Wir könnten sogar die Laufzeiten aller Atomkraftwerke in Europa auslaufen lassen, dann wären wir in rund 40 Jahren raus aus der Kernenergie - bei gleichzeitigem Ausstieg aus fossilen Energien wie Kohle, Öl oder Gas. Es ist belegt, dass wir unsere Energieversorgung praktisch zu hundert Prozent aus erneuerbaren Energien wie Wind, Sonne oder Wasserstoff bestreiten können.

Warum passiert das nicht?

Knies:

Für die Wirtschaft in Deutschland wäre das eine Wohltat und ein riesiges Konjunkturprogramm. Es würde zwar einige Verlierer, aber noch viel mehr Gewinner geben. Noch fehlt der politische Wille. Der Wille zum Ausstieg muss von der Bevölkerung kommen, erst dann werden auch die Politiker reagieren. Denn sie wollen ja schließlich gewählt werden.