Lotteriestellen dürfen künftig keine Sportwettscheine von Hartz-IV-Empfängern mehr annehmen. Doch die Umsetzung des Urteils ist nur schwer machbar.

Berlin. Das Urteil des Landgerichts Köln hat in Berlin für Verwirrung gesorgt: Dass die Lottoannahmestellen künftig keine Sportwettscheine von Hartz-IV-Empfängern mehr annehmen dürfen, ist für Sachsen-Anhalts Ministerpräsidenten Wolfgang Böhmer (CDU) verblüffend. "Ich nehme mit Erstaunen zur Kenntnis, dass andere Gerichte gelegentlich zu völlig anderen Ergebnissen kommen", sagte er nach einem Treffen mit seinen Länderkollegen. Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) sah Probleme bei der Umsetzung. Man könne bei der Abgabe eines Lottoscheins ja schwerlich jedes Mal fragen, ob derjenige Hartz-IV-Empfänger sei. Er denke auch, dass allein die engen Finanzmittel von Hartz-IV-Empfängern schon dafür sorgten, dass für Sportwetten nicht erhebliche Summen ausgegeben werden, sagte Beck.

Die Kölner Richter hatten am Vormittag verfügt, dass die Westdeutsche Lotterie keine Sportwetten von Hartz-IV-Empfängern mehr annehmen darf. Der private Glücksspielanbieter Tipico mit Sitz auf Malta hatte Westlotto vorgeworfen, gegen den unlauteren Wettbewerb und den Glücksspiel-Staatsvertrag verstoßen zu haben. Darin ist unter anderem festgehalten, dass Minderjährige, Spielsüchte oder Menschen mit geringen Einkünften wie Hartz-IV-Empfänger vor Glücksspielen geschützt werden müssen. Westlotto kündigte "unverzüglich" Widerspruch gegen die Verfügung an. Das Erwerbslosen Forum Deutschland reagierte zynisch auf die "absurde und skurrile" Entscheidung des Gerichts und rief alle Lotto spielenden Hartz-IV-Empfänger auf, sich in einem Internetforum zu "outen". Der klagende Wettanbieter trage seinen Konkurrenzkampf "auf dem Rücken von Hartz-IV-Betroffenen aus", sagte ein Sprecher des Forums. Auch im Norden rief der Beschluss Empörung hervor. Siegfried Spies, Geschäftsführer von Lotto Hamburg, nannte das Urteil "grob abstrus". Er glaube nicht, dass es jemals rechtskräftig werde. Ein Sprecher von Lotto Niedersachsen sagte, die Verfügung sei "noch nicht in letzter Instanz entschieden".

In Berlin haben die Ministerpräsidenten gestern zeitgleich über eine Lockerung des staatlichen Glücksspielmonopols beraten und wollen dabei von ihrem Alleinrecht auf Sportwetten abrücken. Bislang sind nur die Oddset-Wetten in den Lotto-Annahmestellen erlaubt. Im Internet gibt es jedoch viele private Anbieter, die mit ihrem Sitz im Ausland deutlich attraktivere Quoten anbieten können. Den Ministerpräsidenten ist klar: Bei den Sportwetten werden große Summen umgesetzt, nach Becks Worten geht es sogar um einen "erheblichen Milliardenbetrag - eher fünf Milliarden plus X als minus X". Rund 90 Prozent spielten sich im illegalen Bereich ab, fügte er hinzu. "Das kann man nicht so stehen lassen." Werden private Anbieter in Deutschland zugelassen, bekommen die Länder über Lotteriesteuer und Gewinnabführung etwas vom Kuchen ab. Aber auch so steht das deutsche Glücksspiel vor einer Umwälzung. Grund ist der Glücksspiel-Rahmenvertrag, der Ende 2011 ausläuft. Er gibt den 16 Bundesländern einheitliche Vorgaben, wie das Glücksspiel gestaltet werden muss. Vor allem geht es dabei um die Suchtprävention - denn nur dadurch wird das staatliche Glücksspielmonopol überhaupt gerechtfertigt.

Genau das hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) im September 2010 nicht mehr gewährleistet gesehen und das Monopol gekippt. Vor allem würde die Werbung fürs Lottospielen die Verpflichtung zur Suchtprävention ad absurdum führen, befand das Gericht. Zudem bemängelte es fehlende Systematik und Konsequenz bei der Kontrolle. Denn neben den staatlich überwachten Spielen gibt es ja noch die privat betriebenen Spielautomaten, denen ein deutlich höheres Suchtpotenzial zugeschrieben wird.

Deshalb wollen die Länderfürsten jetzt auch die privat betriebenen Spielautomaten strenger reglementieren - etwa mit einer Verlängerung der Spieldauer von fünf auf 15 Sekunden und eine Verringerung des möglichen Verlustes von 80 auf 48 Euro. Der Automatenindustrie ist das erwartungsgemäß nicht recht. Rund 3,7 Milliarden Euro setzte die Branche 2010 um - finanzielle Einbußen wären programmiert.

"Die der Gewerbeordnung unterliegenden Spielanbieter haben bereits einen sehr gut regulierten Spielbetrieb", sagte Sabine Glawe, Vorsitzende des Hamburger Automaten Verbandes. Ihr Verdacht: Die strengeren Regeln erfolgen nur, um die Einnahmen der Länder zu sichern, und nicht zur Suchtprävention. "Mehr als 95 Prozent unserer Gäste haben kein Problem mit einer Spielsucht", betonte sie.