Die FDP kämpft in Baden-Württemberg um ihr Überleben - und um das der Landesregierung. Es muss nun gelingen, die Wähler zu mobilisieren.

Karlsruhe. Herbert Rühlemann lässt sich gerade sein Schweinesteak mit Salat auftischen, als Birgit Homburger sagt, dass man jetzt verhüten müsse. Die klein gewachsene baden-württembergische FDP-Landeschefin mit dem Kurzhaarschnitt und der lila Lederjacke reckt sich kämpferisch hinter ihrem Pult und schaut auf die 200 Menschen, die sich wie der 68-jährige Rühlemann zu dieser Mittagsstunde im Festsaal in Karlsruhe-Durlach versammelt haben. Essensduft wabert durch die alte Halle, Kellnerinnen flitzen zwischen den mit FDP-Fähnchen geschmückten Biertischreihen hindurch, an denen noch viele Stühle frei sind.

Die Grünen, erzählt Homburger weiter, würden gerade im Ländle Kondome mit Aufschrift "Jetzt" verteilen. "Da stimme ich ihnen ausnahmsweise mal zu", ruft die FDP-Frau. "Grüne jetzt verhüten ist genau das Richtige." Gelächter und Applaus im Saal.

Nach den Faschingstagen ist der Wahlkampf in Baden-Württemberg nun in die heiße Phase eingetreten. Gut zwei Wochen vor der Abstimmung wird auch bei der FDP der Ton rauer, denn es wird knapp für die schwarz-gelbe Landesregierung von Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU). In Umfragen liegen seine CDU und die FDP mit 46 Prozent gleichauf mit SPD und Grünen - und bereits dieser Gleichstand gilt in dem Land, das Liberale wie Christdemokraten als "Stammland" bezeichnen, als geradezu unerhörter Vorgang.

Vor allem auf die FDP wird es bei diesem Kopf-an-Kopf-Rennen ankommen. Die Liberalen haben in den Umfragewerten eine heftige Achterbahnfahrt hinter sich: Hätten Mitte 2009 noch 15 Prozent für die Liberalen votiert, waren es im Dezember 2010 nur noch vier Prozent. Inzwischen sehen Demoskopen die FDP wieder zwischen sechs und acht Prozent. Das ist zwar eine Verbesserung, aber noch lange keine verlässliche Stütze für den Koalitionspartner CDU - zumal das baden-württembergische Wahlrecht tendenziell kleinere Parteien wie die FDP mit wenigen oder gar keinen direkt gewählten Kandidaten benachteiligt.

"Die Lage für die FDP ist entspannter als noch vor einigen Wochen, aber vielleicht ist das nur die Ruhe vor dem Sturm", sagt Thorsten Faas, Politologe an der Universität Mannheim. Faas leitet die Wahlstudie Baden-Württemberg 2011, bei der in den Wochen vor der Wahl jeden Tag Bürger zu ihrer Meinungsbildung befragt werden. Die bisherigen Untersuchungsergebnisse verblüffen den Forscher: "Das Maß an Unentschlossenheit ist noch erstaunlich hoch, da steht für die Parteien noch eine Menge auf dem Spiel."

Sollte die Partei um Landeschefin Homburger und ihren Spitzenkandidaten, Justizminister Ulrich Goll, zu schlecht abschneiden, könnte sie zum ersten Mal seit 15 Jahren aus der Regierung fliegen. Noch gravierender wären die Auswirkungen für die CDU, die dann möglicherweise zum ersten Mal seit über 50 Jahren keine Mehrheit mehr hätte, um den Ministerpräsidenten zu stellen. Die Stoßwellen eines solchen Bebens wären bis Berlin zu spüren - ob FDP-Bundeschef Guido Westerwelle nach einer solchen Schlappe den Parteitag der FDP im Mai überstehen könnte, wird von manchen Liberalen bezweifelt. Dass es für die FDP womöglich nicht reichen könnte, mag Herbert Rühlemann indes nicht glauben. Der massige Mann mit der Kurt-Beck-Frisur, der blau-gelben Krawatte und dem FDP-Button am Revers ist seit seinem Ruhestand vor fünf Jahren Mitglied in der FDP, sein Sitznachbar, der 78-jährige Joachim Bräuer, schon seit 30 Jahren. "So knapp wie jetzt war es zwar noch nie", sagt Bräuer. "Aber dass die FDP nicht in den Landtag kommt, das gibt's nicht." Was ihn da so sicher macht? Bräuer winkt ab. Eine Niederlage ist im Koordinatensystem der süddeutschen Liberalen nicht vorgesehen.

Doch auf die Zuversicht ihrer Mitglieder mag sich die Parteispitze in dieser Wahl nicht verlassen, sie hat neben Homburger und Goll auch Rainer Brüderle für den Auftritt in Karlsruhe aufgeboten. Als der Bundeswirtschaftsminister ans Rednerpult tritt, prostet der Pfälzer erst mal dem badischen Publikum mit einem Schoppen Weißwein zu. Hier im Südwesten lassen wir uns nicht aus der Ruhe bringen, scheint die Geste zu sagen. Brüderle spricht vom Wirtschaftswachstum und wie blendend Baden-Württemberg dastehe. "Aus der Krise herausgeführt haben uns Gewerbe, Mittelstand, Industrie und keine Lichterketten", dröhnt er ins Mikrofon. Brüderle rudert mit den Armen, bis der vor ihm abgestellte Wein gefährlich ins Schwappen gerät. Langsam redet er sich warm. "Wir von der FDP sind der Navigator für das Tankerschiff der Koalition." Die Grünen aber, die seien immer nur dagegen oder würden seltsame Vorschläge machen, beispielsweise für die Einheitsschule. "Und nur weil einige Grüne in der Schule nicht in Mathematik nachgekommen sind, können wir ja nicht ständig neue Experimente machen."

Die Stoßrichtung, mit der die Liberalen in diesen Wahlkampf ziehen, steht fest: Die SPD wird fast völlig ignoriert, stattdessen geht es gegen die Grünen, mit allen Mitteln. In Umfragen vereinigt die Ökopartei fast dreimal so viele Stimmen auf sich wie die Liberalen.

Die FDP ärgert ganz offensichtlich, dass es den Grünen gelungen ist, sich angesichts der Proteste gegen das Bahnprojekt Stuttgart 21 breiten Wählerschichten als politische Alternative zu präsentieren, während die FDP als Juniorpartner der CDU kaum öffentlich wahrgenommen wird. Mit dem Unwillen in der Bevölkerung gegen das Milliardenprojekt kann sie nichts anfangen, will allenfalls in Zukunft Volksentscheide etwas erleichtern. Unter den Gegnern des Projekts seien auch Fanatiker dabei, die keine andere Meinung gelten ließen, schimpft Spitzenkandidat und Landesjustizminister Goll. "Das ist eine aggressive Haltung, die mir Angst macht für die Zukunft", ruft Goll und erntet Applaus.

Die Nähe zu Stuttgart 21 muss der FDP nicht unbedingt schaden. Nach den Wochen des Protestes schwelle im Ländle die Empörung über das Milliarden-Vorhaben allmählich wieder ab, berichtet Wahlforscher Faas. "Klassische wirtschaftspolitische Themen treten wieder mehr in den Vordergrund, mit denen die FDP punkten könnte."

Die FDP weiß, dass es ihr jetzt gelingen muss, ihre Wähler zu mobilisieren. Birgit Homburger versucht es, indem sie die Gefahr einer rot-rot-grünen Koalition beschwört. "Wir machen Wahlkampf bis zum 27. März um 18 Uhr." Besteht vielleicht doch Grund zur Sorge um den Wahlerfolg von Homburgers Partei?

Bis zur letzten Minute kämpfen - diese Parole hatte schon Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Februar ausgegeben. Damals war Merkel nach Hamburg gekommen. Sie hatte Christoph Ahlhaus im Wahlkampf unterstützen wollen.