Die SPD entdeckt ihren wirtschaftsfreundlichen Kurs. Gabriels Machtbasis schrumpft damit wieder

Berlin. Als Olaf Scholz vor zwei Wochen von seinem Kurs als einem Erfolgsmodell für den Bund sprach, da reagierte man in Berlin noch sehr verhalten. So viel Selbstbewusstsein eines Wahlkämpfers in einem Stadtstaat empfand man dann doch als etwas zu anmaßend im Willy-Brandt-Haus. Zwei Wochen danach scheint es, als wolle die SPD so viel Scholz wie möglich in ihr Programm aufnehmen. Das Wort der wirtschaftsfreundlichen Linie geht wieder in der Sozialdemokratie um.

Wirtschaftsfreundlich? "Das waren wir schon immer", behauptete gestern Parteichef Sigmar Gabriel. Um nicht Scholz als das alleinige Wirtschaftsgesicht der SPD dastehen zu lassen, verwies er lieber noch auf Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier, Ex-Finanzminister Peer Steinbrück und auf sich selbst. Als Umweltminister "war ich das ganz bestimmt auch", behauptete der SPD-Vorsitzende.

So viel Scholz war noch nie in der SPD wie jetzt nach der Hamburg-Wahl. Und das innerparteiliche Lob, das auf den zukünftigen Regierungschef einprasselte, ließ Zweifel am bisherigen Kurs der Bundes-SPD erkennen. Gabriel machte zu all dem gestern gute Miene. Aber jedes Lob für Scholz war so formuliert, dass man es auch als Kritik am Parteichef deuten durfte. Scholz habe gezeigt, dass die SPD auf die Mitte zielen müsse, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer im Bundestag, Thomas Oppermann. Die Wahl habe insgesamt "eine strategische Bedeutung".

Auch Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft warb für Scholz' wirtschaftsfreundlichen Kurs, den er mit dem Streben nach sozialem Zusammenhalt verbunden habe. Selbst Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit stimmte in diesen Chor ein. Die gesamte SPD-Prominenz rückte mal eben ein Stück weiter in die Mitte - dorthin, wo Scholz vorher schon stand. Manch einer munkelte: Nach dem Linksruck inklusive Steuererhöhungspolitik dürften nun die innerparteilichen Richtungskämpfe nicht lange ausbleiben - von den personellen Machtkämpfen ganz zu schweigen. Über Wochen hinweg hatte Gabriel zuletzt dabei zusehen können, wie ihm mit Scholz ein gefährlicher Konkurrent heranwuchs. Der Scholz-Spruch vom Hamburger "Erfolgsmodell" für den Bund war da nur eine Episode. Der Ex-Arbeitsminister gilt bis heute neben Steinmeier als Verfechter der Schröderschen Agenda 2010. Wofür die sich noch erneuernde SPD nach der Pleite bei der Bundestagswahl steht, ist spätestens jetzt wieder offen.

In der Partei wächst zumindest die Überzeugung, die Hamburger Wahl habe Gabriels Position nicht gestärkt. Erschwerend kommt hinzu, dass die Umfragewerte im Bund partout nicht steigen. Zuletzt vermeldete Forsa 22 Prozent. Es ist der Wert, bei dem der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck 2008 als Bundesvorsitzender zum Rücktritt gedrängt wurde. Und ausgerechnet mit Beck meldete sich in den vergangenen Wochen ein parteipolitisch längst Abgeschriebener als machtbewusster Hartz-IV-Verhandler ins Bewusstsein der Partei zurück. Die Deutungshoheit über die Themen, die die Menschen bewegen, scheint wieder auf deutlich mehr Schultern verteilt.

Aus dem konkurrierenden Macht-Duo Gabriel/Steinmeier ist mindestens ein Macht-Quartett geworden, dem Scholz und Beck - beide mit absoluten Mehrheiten im Rücken - angehören. Als Parteichef dürfte Gabriel bis 2013 dennoch keine Konkurrenz fürchten, ist man in der SPD überzeugt. Die Partei sehnt sich noch immer nach Jahren der schnellen Wechsel im Vorsitz endlich nach Kontinuität. Doch die Frage, wer 2013 die Sozialdemokraten als Kanzlerkandidat in die Bundestagswahl führt, ist damit längst nicht beantwortet.