Regelsatz steigt in zwei Stufen zunächst um fünf und ab 2012 um weitere drei Euro. SPD setzt Mindestlöhne in Zeit- und Leiharbeit durch

Hamburg. Die Reform von Hartz IV steht - und Regierung und Opposition drücken jetzt aufs Tempo. Heute soll der Vermittlungsausschuss die Einigung billigen, für Freitag ist die entscheidende Abstimmung im Bundesrat geplant. In einem nächtlichen Kraftakt hatten sich beide Seiten doch noch auf ein seit fast zwei Monaten überfälliges Gesamtpaket im Hartz-IV-Streit geeinigt: Die Regelsätze sollen in zwei Stufen erhöht werden und die Kommunen bekommen vom Bund mehr Geld für das Bildungspaket für Kinder.

Bundeskanzlerin Angela Merkel begrüßte das Verhandlungsergebnis. Das Regierungslager habe sich mit seinen Vorschlägen durchgesetzt, die ursprünglichen SPD-Forderungen nach einem Regelsatz von 400 Euro monatlich seien abgeblockt worden, sagte die CDU-Vorsitzende. Wichtig sei vor allem, dass eine Einigung für das Bildungspaket gefunden worden sei. "Gewinner dieser Hartz-IV-Reform sind mit Sicherheit die Familien mit Kindern, aber auch die Kinder selbst."

Nach der Einigung steigt der Regelsatz rückwirkend zum 1. Januar wie geplant um fünf auf 364 Euro. Zudem soll es Anfang 2012 eine weitere Erhöhung von drei Euro geben, die um einen prozentualen, an Inflation und Lohnentwicklung orientierten Aufschlag ergänzt wird. Ausgezahlt wird die Erhöhung erst zum 1. April. Hartz-IV-Empfänger bekommen dann 15 Euro Nachschlag für drei Monate und den neuen Satz von 364 Euro für den April.

Für rund 2,5 Millionen Kinder von Geringverdienern, die Hartz IV, den Kinderzuschlag oder Wohngeld erhalten, gibt es neue Leistungen: Zuschüsse für ein warmes Mittagessen in Schule oder Kita, für Nachhilfe sowie eintägige Schul- und Kita-Ausflüge. Zudem gibt es monatlich zehn Euro für die Teilnahme am Vereinsleben. Um das Paket zu finanzieren, übernimmt der Bund schrittweise von den Kommunen die Grundsicherung im Alter. Ab 2014 übernimmt er die vollen Kosten. Die Leistungen aus dem Bildungspaket können sofort in Anspruch genommen werden.

Für weitere 1,2 Millionen Arbeitnehmer gibt es künftig einen Mindestlohn. Darunter sind 900 000 Leih- und Zeitarbeiter. Die Lohnuntergrenze soll sowohl für Verleihzeiten wie für Wartezeiten gelten. Im Westen beträgt der Mindestlohn für die Zeitarbeit 7,59 Euro, im Osten ist er etwas niedriger.

Die Grünen waren vor der Einigung aus den Gesprächen ausgestiegen. Fraktionschefin Renate Künast sagte, der Regelsatz sei nicht transparent berechnet und verstoße damit gegen die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts. SPD-Chef Sigmar Gabriel, der dem Kompromiss zugestimmt hatte, sagte zum Einwand der Grünen: "Die könnten recht haben."

Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) kritisierte dagegen, die Grünen seien inzwischen offenbar gegen jegliche Form von Vereinbarung. "Es ist ein starkes Stück, dass ausgerechnet die Grünen, die den Verhandlungstisch verlassen haben, rechtliche Bedenken anmelden", sagte Mappus dem Hamburger Abendblatt. "Sie hätten ja einfach am Tisch bleiben und für ein anderes Ergebnis kämpfen können." Er glaube nicht, dass man so ein Land voranbringt. "Mit solider konstruktiver politischer Arbeit hat das nichts mehr zu tun." Mappus äußerte die Überzeugung, dass das Verhandlungsergebnis am Freitag eine große Mehrheit im Bundesrat bekommen und die Lösung einer Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht standhalten werde. "Wichtig ist, dass dieses Thema nicht weiter wabert. Dafür hätten die Menschen in diesem Land kein Verständnis."

Anne Lenze, Professorin für Sozialrecht und Sachverständige im Bundestagsausschuss, bezeichnete die Einigung als "verfassungsrechtlich höchst riskant". Sie rechne damit, dass "in einigen Punkten nachjustiert werden muss". So habe sich der Gesetzgeber bei der Berechnung für den Regelsatz nicht wie üblich auf die unteren 20 Prozent, sondern nur auf die unteren 15 Prozent der Geringverdienerhaushalte bezogen. "Das macht sich mit 90 Euro bei dem Grenzeinkommen bemerkbar und senkt den Regelbedarf der Betroffenen", sagte sie dem Abendblatt.

Der Paritätische Wohlfahrtsverband kritisierte, die Regelsätze seien weder bedarfsgerecht noch verfassungskonform. "Das Ergebnis ist ein Schlag ins Gesicht der Betroffenen und ein Affront gegenüber dem Bundesverfassungsgericht.