Leiharbeiter werden laut einer DGB-Studie viel schlechter bezahlt als Stammkräfte

Hamburg. Sie haben eine volle Stelle. Sie zahlen Steuern und Sozialabgaben. Sie üben die gleichen Tätigkeiten aus wie ihre fest angestellten Kollegen. Tag für Tag. Trotzdem sind sie nur Arbeitnehmer zweiter Klasse. Weil sie Leiharbeiter sind, also von einer Zeitarbeitsfirma an Unternehmen ausgeliehen werden.

Leiharbeiter mit einer Vollzeitstelle verdienen laut einer Studie des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) nur halb so viel wie Vollzeitbeschäftigte. Das Armutsrisiko unter Leiharbeitskräften ist vier- bis fünfmal größer. Das Gehalt reicht vielen Leiharbeitern nicht zum Leben: Jeder achte Leiharbeiter muss mit Hartz IV aufstocken.

Leiharbeit boomt in Deutschland. Fast eine Million Menschen arbeiten in der Branche, im vergangenen Jahr wurde jede dritte neue Stelle an einen Zeitarbeiter vergeben. Leiharbeit ist bei Arbeitgebern beliebt, weil sie Zeitarbeitskräfte schnell aus dem Unternehmen bekommen können. Die Gewerkschaften kritisieren, dass sich vor allem Branchen mit hohen Löhnen billige Zeitarbeiter holen, um die Löhne zu drücken. Zurzeit streiten Regierung und Opposition über Regeln, die zu einer gleichen Bezahlung von Leiharbeitern und Stammkräften führen. Durch die DGB-Studie erhält die Diskussion neuen Zündstoff.

Der Autor der DGB-Studie, Wilhelm Adamy, hat für seine Untersuchung eine Sonderauswertung der Entgeltstatistik der Bundesagentur für Arbeit analysiert. Grundlage der Statistik sind Lohnangaben von 500 000 Vollzeitbeschäftigten. Demnach lag das mittlere Bruttoeinkommen aller Vollzeitbeschäftigten im Jahr 2009 bundesweit bei 2805 Euro im Monat. Leiharbeitskräfte verdienten 1456 Euro - ein Unterschied von 48,1 Prozent. Zehn Prozent aller Zeitarbeiter verdienen weniger als 1000 Euro brutto im Monat - im Osten Deutschlands sind es 20 Prozent. Ein weiteres Fünftel der Leiharbeitskräfte verdient zwischen 1001 bis 1200, in Ostdeutschland sind es mehr als ein Viertel. In der Einkommensklasse von 1201 bis 1400 Euro brutto befindet sich fast ein Fünftel der Leiharbeitskräfte. Nur 19 Prozent der Leiharbeiter kommen auf ein Monatsgehalt über 2000 Euro brutto. An dieser Zahl fällt der Einkommensabstand besonders auf: 72 Prozent aller Vollzeitbeschäftigten verdienen nämlich mehr als 2000 Euro brutto.

Viele Leiharbeiter sind auf staatliche Hilfe angewiesen: Mitte 2010 waren 92 000 Leiharbeitskräfte auf Hartz IV angewiesen - fast jeder Achte.

Von Mitte 2009 bis Mitte 2010 hat sich die Zahl der auf Hartz IV angewiesenen Leiharbeitskräfte um 35 000 erhöht - und damit um 60 Prozent.

Der Anteil der "Aufstocker" unter allen sozialversichert Beschäftigten beträgt gerade mal 2,7 Prozent. Das Verarmungsrisiko ist nach den Zahlen des DGB für Leiharbeiter fünfmal höher als in der Gesamtwirtschaft.

Der Studien-Autor Wilhelm Adamy forderte die Regierung auf, gleichen Lohn für gleiche Arbeit per Gesetz zu garantieren. "Auch die Arbeitsagenturen sollten die Verleiher der Arbeitskräfte nicht mehr zu Premiumkunden erklären", sagte Adamy dem Abendblatt. Der Staat subventioniere die Verleihbranche mit Lohnkostenzuschüssen. "Diese Zuschüsse sollten nur dann gezahlt werden, wenn ein Lohn gezahlt wird, der nicht durch Hartz IV aufgestockt werden muss!", sagte Adamy. Auch solle geprüft werden, ob die Zeitarbeitsstelle nachhaltig sei, da jedes zweite Arbeitsverhältnis in der Branche nach drei Monaten beendet werde. "Leiharbeit wird längst nicht nur dafür eingesetzt, um betriebliche Auftragsspitzen abzufangen, sondern mehr und mehr auch, um die Lohnkosten massiv zu drücken und tarifliche Regelungen in den Einsatzbetrieben zu unterhöhlen", kritisierte Adamy.

In der Politik stößt die Studie auf unterschiedliche Resonanz. Die SPD fordert eine gleiche Bezahlung von Leiharbeitern nach einer Übergangsfrist von vier Wochen. Die CSU erklärte sich in den Hartz-IV-Gesprächen, die in dieser Woche laufen, verhandlungsbereit. "Wir zeigen weiterhin Gesprächsbereitschaft bei equal pay", sagte CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt und ging damit auf Distanz zum Koalitionspartner FDP. Die Liberalen lehnen kürzere Übergangsfristen als neun Monate ab. Die CSU, sagte Dobrindt weiter, könne sich kürzere Übergangsfristen vorstellen. Aus Sicht der Arbeitgeber hätte eine Regelung zur gleichen Bezahlung von Zeitarbeitern dramatische Folgen für den Arbeitsmarkt. Sie würde Beschäftigungschancen vernichten, sagte der Direktor des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, der "Welt am Sonntag".