Der Publizist und ehemalige Vorsitzende der Axel-Springer-Stiftung wäre heute 98 Jahre alt geworden. Er prägte den politischen Journalismus.

Jerusalem. Es gibt Menschen, die treten nur ins Rampenlicht, wenn das Leben sie dazu zwingt. Ernst Cramer schien jedenfalls im Schatten seines Freundes Axel Springer bleiben zu wollen, als sie 1967 nach Israel reisten. "Er sah aus wie Axels Leibwächter", sagt Ruth Cheshin, Vorsitzende der Jerusalem Foundation, über ihre erste Begegnung. Ergeben und ernsthaft habe Cramer gewirkt, wie einer, der konsequent eine Mission erfülle. "Typisch deutsch, wie ein Offizier."

Typisch deutsch? Wie passt das zu Cramer, dessen Familie von den Nazis ermordet wurde, der in die USA flüchtete, um später als Soldat der US-Army in der Normandie zu landen? Wie passt Ergebenheit zu einem Mann, den Springer mit den Worten einstellte, er brauche schließlich nicht noch mehr Jasager? Wie passt Ernsthaftigkeit zur Selbstironie, mit der er Lobeshymnen begegnete? "Vielen Dank auch für Ihre freundlichen Worte. Das ist zwar übertrieben, aber solche Übersteigerungen lese ich gerne", antwortete er auf ein Gesuch an die Axel-Springer-Stiftung, die er Jahrzehnte leitete.

Heute hätte Cramer seinen 98. Geburtstag gefeiert. Er war einer dieser Menschen, deren Geist sie so jung hält, dass sein Tod im vergangenen Januar überraschte, obwohl er Altersgenossen längst überlebt hatte. Kurz zuvor schrieb er Freunden von einer "hartnäckigen Erkältung", die ihn von der Arbeit fernhalte. Als er der "Welt am Sonntag" einen Leitartikel zur Wirtschaftskrise anbot, aber erfuhr, dass damit bereits ein jüngerer Kollege betraut war, soll er gesagt haben: "Das ist gut, der kann das sowieso besser." Das klingt nicht so, als habe sich dieser Mann allzu wichtig genommen.

"Cramer war ein Realist", sagt Cheshin. "Springer dagegen war ein Träumer." Erst nach Springers Tod, im Jahr 1985, traf sie ihn alleine. "Plötzlich stand er in der ersten Reihe", sagt sie. "Ich glaube, das wollte er nicht, aber man kann sich im Leben vieles nicht aussuchen." Cramer hielt die Grundsätze hoch, die sein Freund verfügte. "Er konnte auch schroff sein", sagt Cheshin. "Aber wir haben uns sehr geliebt."

Wer Cramer verstehen will, muss auch sehen, was er im Detail abseits der publizistischen Bühne tat. So setzte er sich beharrlich für die Organisation Akim-Jerusalem ein, die schwer behinderten Menschen ab den 60er-Jahren ermöglichte, zu Hause zu leben. Das war in Israel damals kaum üblich, eine Botschaft gegen Ausgrenzung also.

Schroff zeigte sich Cramer öffentlich eigentlich nie. Aber als er 2008 auf der Verleihung des Axels-Springer-Preises für junge Journalisten sprach, wollte ihn der junge Direktor der Journalistenschule am Arm auf die Bühne führen. Cramer zog seine Hand weg, ging die Stufen hinauf zum Podium, schüttelte verächtlich den Kopf. Als wolle er sagen, dass er solche Hilfe wirklich nicht brauche. Unabhängig müssen Journalisten sein, sagte er den Berufsanfängern. Er gründete Stipendien, die jungen Reportern ermöglichen, in Israel zu arbeiten. Sein Aufruf, zuzuhören und nach vorne zu blicken.

Typisch deutsch. Das hätte Cramer vielleicht akzeptiert, wenn Deutschland vor 1933 gemeint war. Das er kennenlernte durch seinen Vater, der nach der ersten Bücherverbrennung auf seine Bibliothek schaute und sagte: "Alle diese Autoren stehen auch hier." Die Katastrophe des 20. Jahrhunderts hat Cramer die ersten Kapitel seiner Biografie aufgezwungen. Und vermutlich erzwangen diese Kapitel auch die nächsten, weil er den Mut dazu hatte.

"Er wollte nicht, dass Deutschland wieder Fehler macht", sagt Cheshin. "Er hasste Fehler."