Regierungschef Sellering hält Geberländer im Streit um Finanzausgleich für verantwortungslos. Hamburg sieht einer Klage gelassen entgegen

Berlin. Drei gegen den Rest der Republik: Ungerecht, leistungsfeindlich und verfassungswidrig finden Baden-Württemberg, Bayern und Hessen den Länderfinanzausgleich. Mit ihrem Ultimatum an die anderen Bundesländer, sich zu neuen Verhandlungen über die Geldzuweisungen bereit zu erklären, stoßen die Geberländer jedoch auf massiven Widerstand der Nehmerländer. "Ich halte das für gefährliche Stimmungsmache, was die Südländer da machen", machte Mecklenburg-Vorpommerns Regierungschef Erwin Sellering (SPD) im Abendblatt seinem Unmut Luft. "Das Grundgesetz spricht von der Herstellung gleichwertiger Verhältnisse", stellte er klar. "Die Vorschläge aus dem Süden laufen darauf hinaus, die wirtschaftlichen und sozialen Unterschiede in Deutschland zu vergrößern. Das ist verantwortungslos." Er sehe "keinen Anlass für Änderungen am Finanzausgleich".

Auch für die Argumente der Süd-Ministerpräsidenten, wonach die Nehmerländer keinen Anreiz hätten sich anzustrengen, zeigte Sellering kein Verständnis. "Wir gehen mit den uns anvertrauten Geldern sorgsam um. Mecklenburg-Vorpommern ist eines von drei Bundesländern, das keine Schulden mehr aufnimmt", so der SPD-Politiker. "Und es ist doch eine abenteuerliche Vermutung, dass wir wegen des Länderfinanzausgleichs keinen Anreiz haben, uns in der Wirtschaftspolitik anzustrengen." Als Ministerpräsident wolle er Mecklenburg-Vorpommern selbstverständlich wirtschaftlich voranbringen, schon aus Verantwortung gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern, verdeutlichte der Regierungschef.

Auch Bremens Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) schimpfte gen Süden: "Das ist keine ernsthafte Politik. Es ist erschreckend, in welchem Ausmaß die Seriosität des politischen Handelns dem kurzfristigen medialen Effekt geopfert wird." Böhrnsen beschwerte sich zudem darüber, dass "kein einziges Schreiben in dieser Angelegenheit, keine einzige Terminanfrage zur Klärung etwaiger Differenzen zum Länderfinanzausgleich" je in Bremen eingetroffen sei. Es gehe den Regierungschefs der drei Länder erkennbar um die Vorherrschaft an den Stammtischen im Wahlkampf in Baden-Württemberg, nicht um die Lösung etwaiger Probleme, so Böhrnsen.

Der rheinland-pfälzische Regierungschef Kurt Beck (SPD) nannte die Klagedrohung eine "ziemliche Ungehörigkeit". Man wolle sich nicht an Verträge halten, die erst 2001 geschlossen worden seien. "Wenn die CDU dauernd ihre Ministerpräsidenten wechselt, und die wissen dann nicht mehr, was ihre Vorgänger vereinbart haben, dann ist das traurig", sagte er. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) warf den Südländern "ein merkwürdiges Verständnis von Solidarität" vor. "Der Länderfinanzausgleich ist keine Einbahnstraße."

Dass Hamburg, das vierte Geberland, sich nicht an dem Klagevorhaben beteiligt, hat gute Gründe. Für die Hansestadt gilt ebenso wie für Berlin und Bremen das sogenannte Stadtstaatenprivileg. Eine Reform des Länderfinanzausgleichs könnte demnach eine Verschlechterung für Hamburg bedeuten. Einer Klage sieht man hier dennoch gelassen entgegen. Das Bundesverfassungsgericht habe den Finanzausgleich in den vergangenen Jahren immer gestützt, hieß es gestern aus der Finanzbehörde.

Die drei Landesregierungen sehen sich in ihrem Vorhaben, das Zahlungssystem neu zu ordnen, vor allem durch ein Gutachten bestärkt, das der Staatsrechtler Christian Seiler von der Universität Tübingen erstellt hat. Es kommt zu dem Ergebnis, dass das aktuelle Ausgleichssystem verfassungsrechtlich relevante Defizite aufweist.

Der Ausgleich zwischen den Ländern hat zum Ziel, trotz unterschiedlicher wirtschaftlicher Bedingungen von Region zu Region gleichwertige Lebensverhältnisse in allen Teilen Deutschlands zu gewährleisten. Beim sogenannten horizontalen Ausgleich werden die reicheren Länder verpflichtet, die ärmeren zu unterstützen. Der Länderfinanzausgleich besteht seit 1950 und ist in verschiedenen Gesetzen geregelt. Der Artikel 107 des Grundgesetzes bildet die verfassungsrechtliche Grundlage: "Durch das Gesetz ist sicherzustellen, dass die unterschiedliche Finanzkraft der Länder angemessen ausgeglichen wird; hierbei sind die Finanzkraft und der Finanzbedarf der Gemeinden (Gemeindeverbände) zu berücksichtigen", heißt es dort. Die Bundesregierung legt per Verordnung - mit nachfolgender Zustimmung des Bundesrats - fest, wie die Finanzströme zwischen den 16 Ländern laufen sollen.

Im Gegensatz zu den anderen Nehmerländern zeigten Sachsen und Schleswig-Holstein Verständnis für die Ungeduld der Länder im Süden. "Die drei Geberländer haben in großen Punkten recht", sagte Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) im ZDF. Die Bundesländer, die von den Zahlungen profitieren, forderte er zu "mehr Haushaltsdisziplin" auf. Schleswig-Holsteins Finanzminister Rainer Wiegard (CDU) sagte, er könne die Kritik der Südländer grundsätzlich nachvollziehen, "auch wenn sie Schleswig-Holstein nicht trifft". Das nördlichste Bundesland habe als erstes eine Schuldenbremse in seiner Verfassung.