Baden-Württembergs Ministerpräsident bestreitet Verantwortung für den umstrittenen Polizeieinsatz bei S21-Demo

Stuttgart. Es ist nur ein kurzer Satz. Eine kleine Notiz im Protokoll eines Besuchs des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Stefan Mappus (CDU) beim Polizeipräsidium Stuttgart. "MP erwartet offensives Vorgehen gegen Baumbesetzer", steht darin. MP, damit ist der Ministerpräsident Mappus gemeint.

Die große Frage ist, ob diese sechs Worte tatsächlich als eine Anweisung an die Polizei zu verstehen sind: Geht bei der Demonstration am 30. September "offensiv" gegen die Stuttgart-21-Gegner vor! Mit Härte, mit Wasserwerfern, Schlagstöcken und mit Pfefferspray. Die Opposition im Stuttgarter Landtag will mit einem Untersuchungsausschuss herausfinden, ob die Politik mitbestimmt hat, als es an jenem "schwarzen Donnerstag" im Schlosspark zur Eskalation kam. 400 Demonstranten wurden verletzt, darunter Schüler, Familien und Senioren. Ein Protestler verlor durch einen Wasserstrahl sein Augenlicht. In einer letzten Zeugenanhörung kam es gestern zum Showdown. Geladen war Mappus höchstpersönlich. Mit ihm kamen nicht nur vier seiner Minister, sondern auch die Frage, wer die Verantwortung für den umstrittenen Polizeieinsatz trägt.

Der MP jedenfalls will nicht derjenige gewesen sei, der die Anweisung gab. Er habe zu "keinem Zeitpunkt" - und diese beiden Worte betont er mit Nachdruck - Einfluss auf den Einsatz genommen. Die Treffen vorab habe er lediglich dazu genutzt, um den Polizisten "moralische Rückendeckung" zu geben. Doch da ist unter anderem jene brisante Notiz, aus der die Opposition nun doch eine Einflussnahme herauszulesen glaubt. Jener Satz über die Erwartungen des "MP" entstand am 20. September - also zehn Tage vor der Eskalation. Grüne und SPD sehen es als erwiesen an, dass dieses und viele andere Indizien belegen, dass die Verantwortung vor allem bei Mappus liegt.

Schon zuvor war bekannt geworden, dass Mappus den Einsatz gegen die S21-Gegner zumindest gebilligt hat. Der Ministerpräsident sei einen Tag vor den Auseinandersetzungen über die Einsatzpläne informiert worden, wie Landespolizeipräsident Wolf Hammann bereits am Freitag vor dem Untersuchungsausschuss sagte. SPD-Obmann Andreas Stoch schlussfolgerte gestern, es sei nicht glaubwürdig, dass Mappus bloßer Informationsempfänger der Polizei gewesen war. "Es hat sicherlich einen gewissen Erwartungsdruck hinsichtlich des Zeitpunktes und der Art und Weise des Vorgehens bei dem Einsatz gegeben", betonte Stoch. Auf die Frage, weshalb die Abschlussbesprechung vor dem Einsatz im Staatsministerium und nicht im Innenministerium stattgefunden habe, sagte Mappus, dass dies terminlichen Gründen geschuldet gewesen sei. Auch der Staatsminister Helmut Rau (CDU) und Justizminister Ulrich Goll (FDP) dementierten eine Einflussnahme auf den Polizeieinsatz. Beide äußerten sich jedoch nur knapp zu den Fragen der Ausschussmitglieder.

Bei alldem darf man nicht vergessen: Es ist Wahlkampf in Baden-Württemberg. Auch wenn keine der beteiligten Parteien es zugeben würde, geht es natürlich auch um Profilierung - und zwar auf beiden Seiten. Für SPD und Grüne scheint die Übernahme der Regierung nach 57 Jahren CDU-Herrschaft nach dem 27. März 2011 zum Greifen nah. Und auch Mappus wollte das Projekt Bahnhofsbau so reibungslos wie möglich über die Bühne bringen. Doch hat sich der bisherige Hardliner in diesem Punkt gewandelt. Erneut betonte er gestern sein Bedauern über den Polizeieinsatz und räumte ein, dass die Politik in der Debatte über das Großprojekt zu lange den Kontakt zum Volk verloren hatte.

Doch auch nach der Abkehr von der früheren Mentalität hagelte es gestern Kritik. "Mappus hat nicht eingegriffen, als die Gewalt der Polizei bei dem Einsatz eskaliert ist", sagte Brigitte Dahlbender, Landesvorsitzende der Naturschutzorganisation BUND in Baden-Württemberg, dem Abendblatt. Mappus sei über die Strategie der Polizei "voll im Bilde" gewesen. "Das hinterlässt ein bitteres Geschmäckle für den Ministerpräsidenten", betonte Dahlbender.

CDU-Obmann Thomas Blenke sagte: "Der Untersuchungsausschuss läuft ins Leere." Erst habe die Opposition der Regierung Einflussnahme auf den Einsatz nachweisen wollen, werfe dem Ministerpräsidenten jedoch jetzt vor, dass er keinen Einfluss genommen habe. Der Ausschuss will im Januar einen Bericht vorlegen.