Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) über Wege aus dem Umfragetief, über WikiLeaks - und über Ursula von der Leyen.

Mainz. Sieben Landtagswahlen finden 2011 statt - eine davon in Rheinland-Pfalz, wo Kurt Beck bisher mit absoluter Mehrheit regiert. Im Abendblatt-Interview formuliert der frühere SPD-Bundesvorsitzende seine Erwartungen: an die Bundesregierung und an die eigene Partei.

Hamburger Abendblatt:

Herr Beck, gerade sechs der 16 Ministerpräsidenten sind von der SPD. Wie viele werden es nach dem Superwahljahr 2011 sein?

Kurt Beck:

Ich denke, dass es zwei mehr sein werden. Wenn wir Berlin verteidigen und eine der beiden Chancen in Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt nutzen, geht die Rechnung auf. Denn Hamburg wird sicher dazukommen.

Hamburgs Bürgermeister Ahlhaus hat den Schulreform-Gegner Scheuerl auf seine Seite gezogen. Damit wird es kein Selbstläufer für Olaf Scholz ...

Beck:

Dieser taktische Schachzug wird den Wahlsieg von Olaf Scholz nicht gefährden. Ahlhaus adoptiert den Anführer einer Bürgerinitiative, die seine Koalition auseinandergerissen hat. Das ist doch entlarvend.

Was wird anders in der Hansestadt, wenn Scholz regiert?

Beck:

Man wird seine soziale Handschrift spüren. Es wird ihm gelingen, eine Versöhnung herbeizuführen. Die Art, wie beispielsweise in Hamburg bisher Schulpolitik gemacht worden ist, war für die Stadt nicht förderlich.

Was wird anders in Rheinland-Pfalz, wenn Julia Klöckner regiert?

Beck:

Das wird nicht passieren. Schauen Sie sich das Chaos an, das die rheinland-pfälzische CDU in ihren Reihen hat. Mit Frau Klöckner als Ministerpräsidentin würde Rheinland-Pfalz seine Stabilität verlieren.

Sie eröffnen jetzt den Wahlkampf.

Beck:

Ich formuliere noch vorsichtig, wenn ich sage, dass die inneren Verhältnisse dieser Partei katastrophal sind. Über die Machenschaften der rheinland-pfälzischen CDU ist ja gerade auch der Hamburger Finanzsenator Frigge gestürzt .

In Berlin und Baden-Württemberg haben die Grünen die SPD in Umfragen überflügelt. Juniorpartner der Grünen - käme das für die SPD infrage?

Beck:

In Berlin glaube ich fest an einen Sieg von Klaus Wowereit. In Baden-Württemberg muss man sehen, wie die Entwicklungen sind. Stuttgart 21 hat die Grünen beflügelt. Ich halte nichts davon, bestimmte Konstellationen von vornherein auszuschließen.

Die Grünen liegen im Bund stabil über 20, die SPD ebenso stabil unter 30 Prozent. Warum profitieren die Sozialdemokraten nicht vom Zustand der schwarz-gelben Bundesregierung?

Beck:

Wir arbeiten noch daran, Vertrauen zurückzugewinnen, das verloren gegangen ist. Wir nehmen Korrekturen an den Sozialreformen vor. Ich leite zusammen mit Olaf Scholz eine Arbeitsgruppe zur Rente mit 67. Für den nächsten Parteitag werden wir Vorschläge entwickeln.

Was ist Ihnen dabei besonders wichtig?

Beck:

Wir brauchen deutlich mehr Flexibilität beim Übergang in die Rente. In vielen Berufen ist es nicht sinnvoll, bis zum 67. Geburtstag voll zu arbeiten und einen Tag später überhaupt nicht mehr. Ich bin für ein individuelles Rentenkonto, das in Tarifverträgen abgesichert wird. Was die Details angeht, will ich der Kommission nicht vorgreifen. Wichtig ist jetzt, dass wir uns schärfer mit der Regierungspolitik auseinandersetzen.

Die SPD ist Ihnen zu zahm?

Beck:

Wir müssen den Leuten im neuen Jahr klipp und klar sagen, was die schwarz-gelbe Gesundheitsreform bedeutet: nämlich eine Abkehr vom Solidarprinzip. Der Einstieg in die Kopfprämie ist das Gegenteil von sozialer Marktwirtschaft. Die Gesundheitsreform zerstört die Sozialpartnerschaft. Wenn die Regierung Merkel/Westerwelle auf diesem Weg weitergeht, setzt sie die Stabilität in Deutschland aufs Spiel. Wir müssen die Regierungspolitik, die den Zusammenhalt der Gesellschaft zerstört, in den Mittelpunkt unserer Arbeit stellen. Dann wird auch das sozialdemokratische Profil wieder deutlich erkennbar.

Vom linken Parteiflügel kommt die Forderung, die SPD müsse sich "klar und unmissverständlich zu einer Politik der Umverteilung" bekennen. Der richtige Ansatz?

Beck:

Schwarz-Gelb betreibt Umverteilung von unten nach oben, wie die Gesundheitsreform, die Steuerpolitik und das sogenannte Sparpaket dieser Bundesregierung zeigen. Dagegen müssen wir uns wehren. Auf keinen Fall darf es in dieser wirtschaftlichen Lage eine weitere Absenkung der Steuern geben. Der Sozialstaat kann das nicht verkraften. Wir haben eine Steuerlastquote von gerade mal 20,5 Prozent. Ich bin sehr für eine Anhebung des Spitzensteuersatzes ...

... auf 60 Prozent, wie Hessens SPD-Chef Schäfer-Gümbel fordert?

Beck:

60 Prozent sind außerhalb jeder Diskussion. Ich denke an eine maßvolle Erhöhung.

Würden Sie sagen, die Hartz-IV-Reform von Arbeitsministerin von der Leyen ist sozial ungerecht?

Beck:

Das ist nicht der Punkt. Von der Leyen hat die Hartz-IV-Reform an der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vorbeiorganisiert. Die neuen Sätze sind mitnichten nachvollziehbar berechnet worden.

Also klagen Sie dagegen.

Beck:

Es geht jetzt nicht um Klagen. Es geht darum, im Vermittlungsausschuss entscheidende Verbesserungen durchzusetzen. Diese Chance bekommen wir, wenn die saarländischen Grünen bei der Abstimmung im Bundesrat standhaft bleiben. Die Hartz-IV-Reform ist in ihrer jetzigen Form verfassungsbedenklich.

Was ist gegen ein Bildungspaket für Kinder einzuwenden?

Beck:

Dass von den 600 Millionen Euro, die Frau von der Leyen dafür vorgesehen hat, 135 Millionen Euro für neue Verwaltungskosten draufgehen werden. Das ist ein Skandal ersten Ranges ...

... der worin genau besteht?

Beck:

Für das Bildungspaket sollen bei der Bundesagentur für Arbeit 1400 Leute eingestellt werden. Frau von der Leyen schafft teure Strukturen auf Bundesebene, weil sie sich persönlich profilieren will. Vernünftig wäre ein anderes Modell: Der Bund überweist einen Betrag an die Kommunen als Schul- und Kindergartenträger. Sie können das Geld viel zielgenauer einsetzen.

Die Arbeitsministerin macht rechtliche Beschränkungen geltend ...

Beck:

... die es nicht gibt. Für mich ist klar: Von der Leyen verschwendet Steuergeld aus Profilierungsdrang.

Vielleicht werden wir ja einmal über WikiLeaks erfahren, was im Arbeitsministerium wirklich vor sich gegangen ist ...

Beck:

... na ja.

Für wie groß halten Sie den Schaden, den die Veröffentlichung von US-Depeschen angerichtet hat?

Beck:

Für Deutschland ist der Schaden nicht so groß. Es ist ja eher Geschwätz, das da über den Atlantik gekabelt worden ist. Ein erheblicher Schaden ist natürlich für die amerikanische Diplomatie entstanden.

Woran machen Sie das fest?

Beck:

Wir haben viel mit dem amerikanischen Generalkonsulat zu tun, weil wir in Rheinland-Pfalz eine hohe Präsenz amerikanischer Streitkräfte haben. Der Kontakt ist immer sehr vertrauensvoll gewesen und wird es bleiben. Aber es wird uns einige Mühe kosten, dieses Maß an Vertrauen zu halten. Wenn spontane Einschätzungen aus dem Zusammenhang gerissen und als festgefügte Meinung über den Teich geschickt werden, hält man künftig eher den Mund.

Wütend auf WikiLeaks und Julian Assange sind Sie nicht?

Beck:

Die amerikanische Administration hat die sensiblen Daten sehr schlecht geschützt. Wenn ein Obergefreiter in Afghanistan an solche Informationen gelangen kann, stimmt einiges nicht. Das rückt eine Frage in den Mittelpunkt, mit der wir uns in Rheinland-Pfalz schon beschäftigen, dies aber noch intensiver tun müssen.

Die wäre?

Beck:

Die Risiken der hohen IT-Vernetzung: Wenn jemand in die Systeme eindringt, kann er erheblichen volkswirtschaftlichen Schaden anrichten und sogar die Sicherheit von Staaten gefährden. Das ist eine Bedrohungslage, die wir viel stärker auf den Schirm nehmen müssen.

In einer Depesche des US-Konsulats Frankfurt vom Februar 2007 geht es um Ihre mögliche Kanzlerkandidatur. "Ein Beck-Intimus erzählte uns vertraulich, dass bereits ein Spezial-Komitee in der rheinland-pfälzischen Staatskanzlei gebildet worden sei, um eine potenzielle Kandidatur vorzubereiten", heißt es darin. Korrekt berichtet?

Beck:

So etwas hat es nie gegeben. Wir achten peinlich genau darauf, die Arbeit der Staatskanzlei und der Partei zu trennen. Vielleicht haben die Amerikaner ja den Elferrat an Fasnacht für ein Kanzlerkandidatenkomitee gehalten. Was da steht, ist einfach falsch!

Am Ende trat Steinmeier als Kanzlerkandidat an - und fuhr das schlechteste SPD-Ergebnis aller Zeiten ein. Ist es vorstellbar, dass Steinmeier 2013 eine zweite Chance bekommt?

Beck:

Selbstverständlich ist das vorstellbar. Aber jetzt ist nicht die Zeit, darüber zu reden. Die Bundestagswahl ist gerade mal ein gutes Jahr her.

Warum heißt es eigentlich immer, dass der Parteivorsitzende den Erstzugriff auf die Kanzlerkandidatur hat?

Beck:

Weil Parteien denjenigen vorne hinstellen, dem sie eine entscheidende Führungsaufgabe zutrauen. Ob die Option gezogen wird, muss in der jeweiligen Situation entschieden werden.