Deutscher PISA-Chef Eckhard Klieme über Defizite an Schulen und Wege der Lösung

Berlin. Deutschland ist eines der wenigen OECD-Länder, in denen sich das Bildungssystem in den vergangenen Jahren durchgängig positiv entwickelt hat. Das war die entscheidende Botschaft, mit der Professor Eckhard Klieme vom Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung die PISA-Studie bilanzierte. Das Institut war federführend an der Studie beteiligt.

Hamburger Abendblatt:

Die deutschen Schüler haben sich verbessert. Wie zufrieden sind Sie?

Eckhard Klieme:

Ich freue mich über die Verbesserungen. Aber wir müssen weiter an der Qualität von Schule und Unterricht arbeiten - beispielsweise an der Qualität der Angebote in den Ganztagsschulen oder an der individuellen Förderung. Sie ist vor allem an Gymnasien noch zu wenig ausgeprägt.

Ist die individuelle Förderung auch der Weg, um Kindern von Zuwanderern bessere Bildungschancen zu bieten?

Klieme:

Ganz bestimmt. Aus Kanada wissen wir aber auch, dass die Arbeit mit dem sozialen Umfeld des Jugendlichen wichtig ist. Die deutschen Schulen müssen stärker mit Eltern, aber auch Vereinen und sozialen Trägern wie Kirchen zusammenarbeiten.

Was kann Deutschland von Spitzenländern wie Korea und Finnland lernen?

Klieme:

Sicher stehen uns die westlichen Länder - wie Finnland - mit ihren pädagogischen Konzepten näher als Staaten wie Korea. Aus Finnland wissen wir, wie wichtig das Qualifikationsniveau der Lehrer ist. Dort haben sie zusätzlich zu hohen fachlichen Kompetenzen auch psychologisches und bildungswissenschaftliches Wissen. Zudem ist das Angebot an individueller Beratung und Förderung in Finnland vielseitiger als in Deutschland.

Ein Vorbild für Deutschland?

Klieme:

Wir brauchen definitiv eine stärkere Spezialisierung. Oft übernehmen Lehrer alle Tätigkeiten - vom Kopieren bis zur Krisenberatung. Mehr Sozialarbeiter an Bildungseinrichtungen sind genauso notwendig wie Lehrer unterschiedlicher Profession. Ein Beispiel sind Sonderpädagogen, die auch an regulären Schulen unterrichten.

Seit Jahren sind in allen OECD-Staaten die Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen bei der Lesekompetenz eklatant. Gibt es noch Hoffnung für das männliche Geschlecht?

Klieme:

Es gibt Theorien, die mit den unterschiedlichen Genen und Hormonen der Jungen argumentieren. Aber vor allem die kulturellen Unterschiede erklären uns, warum Mädchen häufiger lesen und Jungen lieber am Computer spielen. Schule muss diese Unterschiede mit ausgleichen. Man muss darauf achten, Mädchen das Arbeiten am Computer anzubieten und Jungen das Vergnügen am Lesen mitzugeben.