Der Mann, dessen Hinweise den Irakkrieg begründeten, lebt mitten unter uns. ARD-Reporter haben ihn aufgespürt

Hamburg. Auf diesen Spion hatten die Amerikaner gewartet. Der Mann sagte, er habe als Chemie-Ingenieur im Irak gearbeitet. Er habe Beweise, dass das Saddam-Regime Biowaffen herstellt. Die Amerikaner waren zufrieden mit den Informationen - sie hatten einen Vorwand für den Krieg gegen Hussein. Am 20. März 2003 fielen die ersten Bomben auf Bagdad, in den kommenden Jahren sollten Hunderttausende Menschen im Irak sterben.

Die Existenz der Massenvernichtungswaffen war gelogen, wie sich später herausstellte. Die Amerikaner fanden keine Biowaffen. Sie waren einem Hochstapler aufgesessen. Doch nicht nur sie: Der Bundesnachrichtendienst hatte den Mann als Quelle angeworben und die Informationen an die Amerikaner weitergeleitet. Der Fall ist eine der größten geheimdienstlichen Blamagen.

Der Mann heißt Rafid al-J., doch die ganze Welt kennt ihn unter seinem Decknamen "Curveball".

Jetzt bekommt "Curveball" erstmals ein Gesicht: Für die ARD haben die beiden Journalisten Stefan Buchen und Poul Erik Heilbuth den Fall recherchiert. In einem Film, den heute die ARD ausstrahlt, decken sie auf, dass Rafid al-J. vom Bundesnachrichtendienst nicht etwa für seine Lügen bestraft wurde. Im Gegenteil: Er soll von Deutschland mit einem deutschen Pass und Geld belohnt worden sein.

Die ARD-Reporter spürten "Curveball" in Karlsruhe auf. Der Mann, der grimmig in die Fernsehkamera blickt, hat schwarze Haare und einen leichten Bauchansatz, er ist unrasiert. Seine große Zeit ist vorbei. Im Jahr 1998 wirft Iraks Diktator Saddam Hussein die Uno-Waffeninspektoren aus dem Land. Ein Jahr später flüchtet Rafid al-J. aus dem Irak nach Deutschland. Er landet in einem Auffanglager im bayerischen Zirndorf. Seinem Anwalt sagt er, er habe Beweise, dass Saddam Biowaffen herstellt. Schnell hat er Kontakt zum BND, seine Informationen werden an die Amerikaner weitergeleitet. Er gefällt sich in der Agentenrolle, trägt Trenchcoat. Schon bald wohnt er nicht mehr in der Flüchtlingsunterkunft, sondern in einer geräumigen Wohnung mit teuren Möbeln.

Am 5. Februar 2003 informiert US-Außenminister Colin Powell den Uno-Sicherheitsrat über die vermeintlichen Massenvernichtungswaffen im Irak und stützte sich dabei auf Rafids Angaben. Später wird Powell sagen, die Rede sei ein "Schandfleck" in seiner Karriere.

Der ehemalige deutsche Uno-Botschafter Gunter Pleuger sagt in der Dokumentation, er habe die Amerikaner gewarnt, dass "Curveball" unzuverlässige Informationen liefere. Dennoch wird der Spion von den Deutschen nicht verstoßen: Er bekommt von einer Tarnfirma des Bundesnachrichtendienstes 3000 Euro im Monat fürs Nichtstun, berichtet die ARD. Er mietet eine Wohnung an, kauft sich einen Mercedes. Er kehrt kurz zurück in den Irak, gründet eine Partei. "Alle müssen ehrlich arbeiten", fordert er. Dann kommt er zurück nach Deutschland, aber nun kündigt der BND das Arbeitsverhältnis. Doch "Curveball" nutzt die Mittel des deutschen Rechtsstaats: Er klagt vor dem Münchner Arbeitsgericht und bekommt nach ARD-Recherchen eine Nachzahlung von 2000 Euro. Seitdem erhält er laut ARD Sozialleistungen vom deutschen Staat in Höhe von monatlich 1590,82 Euro.

Doch damit nicht genug: Rafid al-J. hat mittlerweile einen deutschen Pass, zwei BND-Beamte sollen sich dafür bei der Stadt Karlsruhe stark gemacht haben. Als Belohnung für sein Schweigen?

Der grüne Bundestagsabgeordnete Christian Ströbele, Mitglied im Parlamentarischen Kontrollgremium, will den Fall jetzt parlamentarisch untersuchen lassen. "Wenn der BND Unterstützung leistet für Herrn ,Curveball', dann halte ich das überhaupt nicht mehr für vertretbar", sagt Ströbele. Der BND wollte sich auf Abendblatt-Anfrage nicht zu dem Fall äußern.

"Die Lügen vom Dienst - Der BND und der Irakkrieg", heute um 22.45 Uhr in der ARD