Im Bundestag kennt die Koalition nur einen Gegner: die Grünen. Der Schlagabtausch zwischen Regierung und der SPD blieb hingegen aus.

Berlin. Frank-Walter Steinmeier hatte sich auf eine deutliche Antwort der Bundeskanzlerin eingestellt, auf Gemeinheiten in Richtung der Sozialdemokraten, auf scharfe Kritik an seinen eigenen Worten. Aber als der SPD-Fraktionsvorsitzende sich nach seiner Rede gesetzt hatte, kam es anders als erwartet. Der Schlagabtausch zwischen Regierung und der SPD als größter Oppositionspartei blieb aus. Die Generaldebatte im Bundestag während der Haushaltswoche wurde zum Duell der Regierung gegen die kleinste Fraktion im Haus. Union, FDP und Angela Merkel vorneweg zogen es vor, sich mit den umfrageverwöhnten Grünen zu beschäftigen. Das hatte es im Bundestag so noch nicht gegeben.

Dabei hatte Steinmeier alles richtig gemacht, um den Zorn der Kanzlerin auf sich ziehen zu können. Als erster Redner am Morgen hatte der Oppositionsführer sich die Koalition vorgeknöpft: "So viel Durcheinander, so viel Orientierungslosigkeit, so viel Unernst war noch nie", hatte er geschimpft. Innerhalb eines Jahres habe die Koalition das Vertrauen der Wähler "restlos verschleudert".

Die Kanzlerin hatte all die Vorwürfe äußerlich entspannt zur Kenntnis genommen - innerlich offenbar aber auch. Kaum stand Merkel am Rednerpult, attackierte sie wie erwartet die Opposition. Aber nicht Steinmeier und die Sozialdemokraten wurden zum Adressaten ihrer rhetorischen Giftigkeiten, sondern die Grünen.

Ihnen bescheinigte Merkel eine permanente Widerstandshaltung. "Wenn das so weitergeht, werden die Grünen für Weihnachten sein, aber gegen die davorgeschaltete Adventszeit", spottete Merkel. "Die Grünen sind ziemlich fest verbandelt mit dem Wort dagegen." Da mussten sogar einige Grüne im Plenum schmunzeln. Merkel hatte sich da erst so richtig warmgeschossen: Die Partei sei angeblich für den Zugverkehr, aber sobald ein neuer Bahnhof oder eine neue ICE-Strecke gebaut werden solle, seien die Grünen dagegen. "So geht es nicht." Dass eine schwarz-grüne Koalition im Bund für sie ein "Hirngespinst" ist, so wie sie es beim CDU-Parteitag vor einer Woche formuliert hatte, musste Merkel gar nicht erst wiederholen. Zu klar war die Ablehnung. Umweltminister und CDU-Vize Norbert Röttgen schwieg gestern im Plenum. Hätte er gesprochen, wäre er vielleicht in Erklärungsnöte geraten. Denn via "Stern" hatte er vorher seine Partei noch gewarnt, Bündnisse mit den Grünen auszuschließen. "Es wäre grundlegend falsch, die Weiterentwicklung der CDU in Stil und Inhalt im Blick auf eine Partei zu betreiben", wurde Röttgen zitiert. Lagerwahlkampf gehöre der Vergangenheit an.

Was Röttgen auf der Regierungsbank dann aber erlebte, war Lagerpolitik in Reinform. Kaum hatte Merkel vorgelegt, droschen weitere Spitzen-Koalitionäre auf die Grünen ein. Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU) nannte sie "Dagegen-Partei gegen alles". CSU-Landesgruppenchef Hans-Peter Friedrich warf ihnen "Weichspül- und Wohlfühlparolen" vor. FDP-Fraktionschefin Birgit Homburger tadelte: "Es geht Ihnen nicht um die Sache, es geht Ihnen um Protest."

Wenn das Parlament als Ort der politischen Auseinandersetzung ein Gradmesser für die Machtverhältnisse im Land ist, so musste man spätestens am gestrigen Mittwoch zwangsläufig glauben, die Grünen seien die einzig große Oppositionspartei. Ein Eindruck, der sich erst recht bestätigte, als Grünen-Fraktionsvorsitzende Renate Künast das Wort ergriff: Ihr schenkte die Kanzlerin mindestens dieselbe Aufmerksamkeit wie Steinmeier.

"Frau Merkel, wir nehmen den Fehdehandschuh gerne auf", antwortete ihr Künast gelassen. Dann aber musste sich die Kanzlerin von Künast anhören, dass die Deutschen die Wahl hätten zwischen zwei Konzepten - Schwarz oder Grün. "Sie sind dem Alten verpflichtet, wir werden von der Zukunft gezogen." Die Regierung betreibe "gnadenlose Klientelpolitik".

Wirklich kämpferisch wirkte Künast bei ihren Worten nicht. Auch Jürgen Trittin, ihr Kollege im Fraktionsvorsitz, hielt sich mit Aufregungen zurück. Meistens lächelte er, ganz gleich, wer sprach. Vielleicht genoss er einfach nur den Eifer, mit dem sich die Regierung an seiner Partei abarbeitete.

Ein solches Trittin-Lächeln konnten da Steinmeier und SPD-Chef Sigmar Gabriel längst nicht mehr zeigen. An ihnen war die Debatte schlicht vorbeigegangen. Für manche in den Hinterbänken der Fraktion mag es ein beispielhafter Tag für die Probleme der Partei gewesen sein. Der konservative SPD-Flügel, der Seeheimer Kreis, ließ gestern seinem Frust über die Parteispitze in einem Thesenpapier freien Lauf. "CDU und Grüne bestimmen die politischen Diskussionen, die SPD kommt kaum vor, ist und wird nicht gefragt. Das ist kein Zufall", schrieb Seeheimer-Sprecher Garrelt Duin darin laut "Spiegel Online". "Die SPD hat keine schlüssige Antwort auf die Frage vieler Menschen, wofür sie steht. Sie steckt in einer schweren Identitätskrise", hieß es weiter. Die SPD spiele auf Zeit und feile an Formelkompromissen - "mit dem Erfolg, dass die Partei unkenntlich geworden ist, dass sie mal hü und mal hott zum selben Thema sagt", betonte Duin. Der nächste Richtungsstreit scheint damit programmiert.