Der neue CDU-Vize Volker Bouffier über richtige und falsche Zuwanderer, den Kampf gegen den Terror - und über die Chancen von Schwarz-Grün.

Wiesbaden. Seit zwölf Wochen ist Volker Bouffier Ministerpräsident von Hessen, seit zehn Tagen zudem Stellvertreter von Angela Merkel in der CDU - beides als Nachfolger von Roland Koch. Im Abendblatt-Interview wird Bouffier seinem Ruf gerecht, Klartext zu reden und Provokationen nicht zu scheuen.

Hamburger Abendblatt:

Herr Bouffier, wie fühlen Sie sich eigentlich als Letzter Ihrer Art?

Volker Bouffier:

Ich habe über mich gelesen, ich sei der letzte lebende Konservative ...

... sehen Sie das selbst so?

Bouffier:

Ich fühle mich nicht als Relikt aus alten Tagen. Ich habe aber kein Problem damit, mich zu unserem Vaterland zu bekennen. Und ich denke auch, dass die CDU die natürliche politische Heimat der Konservativen sein muss. Ich stehe aber auch für die andere Sache der CDU: die christlich-soziale und die liberale.

Wen sehen Sie in der Partei an Ihrer Seite?

Bouffier:

Die Bundeskanzlerin.

Im Ernst?

Bouffier:

Angela Merkel hat auf dem Karlsruher Parteitag eine Rede gehalten, die auch Konservative begeistert hat.

War das CDU pur?

Bouffier:

Ich denke schon. Angela Merkel hat die Stimmung des Parteitags aufgenommen und ist mit einem guten Ergebnis wiedergewählt worden.

War die Rede auch Merkel pur?

Bouffier:

Angela Merkel ist eine Naturwissenschaftlerin, die nicht zu emotionalem Überschwang neigt. Was sie sagt, sagt sie aus Überzeugung.

Welche Halbwertszeit hat der Satz der Vorsitzenden, Koalitionen mit den Grünen seien Hirngespinste?

Bouffier:

Das wird für längere Zeit so sein. Natürlich sollten demokratische Parteien in der Lage sein, miteinander zu koalieren. Aber ich sehe nicht, wie CDU und Grüne derzeit auf Bundesebene zusammenkommen sollen. Der Parteitag der Grünen in Freiburg hat den Graben nicht zugeschüttet - auch nicht bei der Kernenergie.

Sprechen Sie manchmal mit Hamburgs Erstem Bürgermeister über die Grünen?

Bouffier:

Natürlich. Christoph Ahlhaus und ich haben auch persönlich ein sehr enges Verhältnis.

Ist es so abschreckend, was Ahlhaus berichtet?

Bouffier:

Er bekommt das ganz toll hin und spricht sehr lobend über die Zusammenarbeit mit den Grünen - auch wenn er zu dieser Konstellation sicher weniger Nähe hat als Ole von Beust. Schwarz-Grün in Hamburg ist jedenfalls eine Besonderheit, die sich nicht auf die Bundesebene übertragen lässt.

Sie waren als Innenminister und sind jetzt als Ministerpräsident für die Finanzmetropole Frankfurt zuständig. Wie groß ist die Gefahr eines Terroranschlags in diesen Tagen?

Bouffier:

Wir müssen alles ernst nehmen, dürfen die Menschen aber nicht in Panik treiben. Spekulationen sind fehl am Platz.

Hat Bundesinnenminister de Maizière überzogen mit seinen Warnungen?

Bouffier:

Ich halte überhaupt nichts davon, alle möglichen Ziele öffentlich zu diskutieren. Das verunsichert die Bevölkerung. Thomas de Maizière handelt nach meinem Eindruck besonnen.

Ist Deutschland gerüstet?

Bouffier:

Wir müssen uns mit größter Ernsthaftigkeit auf einen Anschlag vorbereiten. Wir dürfen uns keine Nachlässigkeit erlauben. Die Diskussion um die Vorratsdatenspeicherung ist für mich nicht nachvollziehbar. Es ist kein Sieg für die Freiheit, wenn man die Sicherheitsbehörden in einen Zustand versetzt, in dem sie wesentliche Aufgaben nicht mehr erfüllen können.

Geschieht das denn?

Bouffier:

Die Nutzung von Telefon- und Internetverbindungsdaten gehört zur klassischen Tätigkeit der Sicherheitsbehörden, ohne die wir im Kampf gegen den Terrorismus chancenlos sind.

Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger hält die Vorratsdatenspeicherung für überschätzt.

Bouffier:

Diese Haltung teile ich ausdrücklich nicht.

Hilft es, wenn die Bürger Ausschau halten nach Terroristen - und anfangen, Araber den Behörden zu melden?

Bouffier:

Eine gewisse Wachsamkeit schadet nicht. Das darf natürlich nicht zu einem Denunziantensport werden nach dem Motto: Ich habe da einen gesehen, der sieht komisch aus. Ich halte es für überzogen, die Deutschen aufzurufen, alles zu melden, was ihnen verdächtig vorkommt.

Die Bilder vom 5. Januar 2003, als ein verdächtiges Kleinflugzeug über Frankfurt kreiste, sind noch in den Köpfen der Menschen. Muss es möglich sein, Terror-Flugzeuge abzuschießen?

Bouffier:

Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat gesagt: Ein Flugzeug darf nur abgeschossen werden, wenn die Passagiere ausnahmslos Terroristen sind. Der Zweite Senat sieht das etwas anders. Ich bin sehr gespannt, wie das Plenum des Verfassungsgerichts im kommenden Jahr über das Luftsicherheitsgesetz entscheidet.

Ist es notwendig, die Bundeswehr zur Terrorabwehr auch im Inland einzusetzen?

Bouffier:

Wenn die Bundeswehr etwas kann, was die Polizei nicht kann und für die Sicherheit zuträglich ist, sollte man die Streitkräfte auch einsetzen. Ich denke da nicht an die Fahndung nach Verbrechern. Aber beim Objektschutz kann man die Bundeswehr gut gebrauchen. Die alte Linie, die Bundeswehr nur bei Naturkatastrophen im Innern einzusetzen, halte ich für falsch.

Terror-Flugzeuge abschießen kann die Polizei auch nicht.

Bouffier:

Mir geht es gar nicht ums Abschießen. Man kann verdächtige Flugzeuge auch abdrängen oder einnebeln. Solche Bundeswehreinsätze und die Zusammenarbeit mit der Polizei müssen auch geübt werden.

Möchten Sie in einem Staat leben, der absolute Sicherheit garantiert?

Bouffier:

Die Wahrheit ist: Hundertprozentige Sicherheit kann niemand garantieren - nicht einmal ein Polizeistaat. Es gibt ein unglaublich breites Feld mit denkbaren Zielen. Bei den Kofferbombern haben wir einfach nur Glück gehabt. Was glauben Sie, wie die Debatte gelaufen wäre, wenn es 500 Tote in Deutschland gegeben hätte? Und bei den Sauerland-Attentätern hat ein unglaublich intensiver polizeilicher und geheimdienstlicher Einsatz ein furchtbares Morden in diesem Land verhindert.

Was folgt daraus?

Bouffier:

Wir brauchen eine kontinuierliche, nachhaltige Sicherheitspolitik - und keinen Aktionismus. Das Verhältnis von Sicherheit und Freiheit muss immer wieder neu bestimmt werden.

Herr Ministerpräsident, die Wirtschaft klagt über Fachkräftemangel. Ist Zuwanderung die Lösung?

Bouffier:

Ich bin da sehr vorsichtig. Zunächst sollten wir diejenigen, die in Deutschland leben, qualifizieren. Ich warne davor, den Fehler zu wiederholen, den wir in den Fünfzigerjahren mit den Gastarbeitern gemacht haben. Fachkräfte kommen nicht allein, sondern bringen ihre Familien mit. Und viele wollen bleiben. Die Vorstellung, dass wir unserer demografischen Entwicklung mit Zuwanderung begegnen könnten, halte ich für völligen Unsinn. Das wären Größenordnungen, die unser Land nicht verkraften könnte.

Die FDP hat es als Lebenslüge der Union bezeichnet, gering qualifizierte Langzeitarbeitslose könnten den Bedarf an Fachkräften decken ...

Bouffier:

Wer hat denn behauptet, dass wir aus Langzeitarbeitslosen hochqualifizierte Fachkräfte machen wollen? Ich denke eher an Ältere, deren Potenzial bei weitem nicht ausgeschöpft wird.

Bestreiten Sie, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist?

Bouffier:

Wir haben Einwanderung, aber Deutschland ist kein Einwanderungsland. Das ist auch so eine Quatschdiskussion. Zuwanderungsländer sind Länder, die Zuwanderung offiziell haben und werben wollen: Australien, Kanada, die USA.

Dann kann die FDP ihre Forderung, ein Punktesystem nach kanadischem Vorbild einzuführen, vergessen?

Bouffier:

Ich sperre mich nicht dagegen, dass wir Zuwanderung nach Deutschland organisieren - sofern wir wissen, was wir wollen. Das kanadische Punktesystem scheint mir recht vernünftig zu sein. Jedenfalls müssen wir sicherstellen, dass Schluss ist mit der Zuwanderung in die Sozialsysteme.

Holen Sie sich in solchen Fragen eigentlich Rat bei Roland Koch?

Bouffier:

Nein.

Warum nicht?

Bouffier:

Wir kennen uns so gut, dass wir wissen, wie der andere denkt. Fragen erübrigen sich da.