Im Westen angekommen: Wie war das damals auf dem Weg in die Freiheit? Neun aus der DDR stammende Abendblatt-Mitarbeiter erinnern sich an ihre Erlebnisse, Eindrücke und Emotionen

Der Anruf kam überraschend, wenige Monate nach der Einheit: Ob ich mir vorstellen könne, in Hamburg zu arbeiten, fragte mich der damalige Chef der Wirtschaftsredaktion des Abendblatts. Ja klar, schoss es aus mir heraus. Eine Entscheidung, die ich so schnell nur aus dem Bauch heraus treffen konnte, wie es sonst gar nicht meine Art ist. Mich trieben Neugier, Ehrgeiz, Unsicherheit und das tägliche Chaos in Leipzig in die neue Freiheit. Die Stadt hatte die Einheit mit den Montagsdemonstrationen wesentlich mit vorangetrieben. Jetzt würden die Folgen in vielen Bereichen keinen Stein mehr auf dem anderen lassen. Nicht gerade das Umfeld, das sich eine junge Familie wünscht, dachte ich und ignorierte die skeptischen Blicke der alten Kollegen.

Es war ein Sprung ins kalte Wasser mit Enttäuschungen und Zweifeln. Zwischen Vorstellungsgespräch und Hafenrundfahrt blieben nicht wirklich viele Eindrücke von Hamburg zurück. Ein schneller Start ging nur, wenn Frau und Sohn zunächst in Leipzig blieben. So wurde ich für ein halbes Jahr zu einem Pendler zwischen den Welten. Denn Wohnungssuche und Kinderbetreuung waren damals in Hamburg so schwierig wie heute. Mit den Erfahrungen aus dem Westen fuhr ich regelmäßig zurück in den Osten und umgekehrt. Das förderte zwar nicht das Familienleben, aber so bin ich schneller in die Einheit hineingewachsen, und der Ausverkauf einer Volkswirtschaft durch die Treuhand ließ sich so auch besser beurteilen. Zum Ende der Pendelphase habe ich dennoch jeden Tag gezählt. Nur mein Sohn schien zunächst etwas enttäuscht in der neuen Heimat. Denn bei jeder Rückkehr hatte ich ihm ein kleines Lego-Spielzeug mitgebracht.