Im Westen angekommen: Wie war das damals auf dem Weg in die Freiheit? Neun aus der DDR stammende Abendblatt-Mitarbeiter erinnern sich an ihre Erlebnisse, Eindrücke und Emotionen

Willy Brandt also. Eigentlich hatte ich im Januar 1990 - ich war seinerzeit als Redakteur der Tageszeitung "Junge Welt" für die Bundesrepublik zuständig und damit im Auslandressort angedockt - ein Interview mit Egon Bahr haben wollen und in der SPD-Zentrale in Bonn angefragt. Deren Sprecher beschied mir, dass Herr Bahr leider in den USA sei, wir aber, wenn wir denn wollten, ein Interview mit Willy Brandt haben könnten. Und das schon vier Tage später, am Montag also. Allein wollte ich das Gespräch nicht führen, also bat ich einen Kollegen mitzukommen. Das eigentliche Problem war jedoch ein finanzielles. "Westgeld"x gab es seinerzeit offiziell noch nicht in der DDR, war also knapp. Der Verlag haushaltete streng. So bekamen wir zwar die Genehmigung, von Berlin nach Bonn zu fahren. Allerdings stand für uns beide nur ein Tagessatz von 35 D-Mark zur Verfügung. Die Bahnfahrkarten konnten noch in DDR-Mark bezahlt werden, aber wir mussten - das Interview war für 11 Uhr angesetzt - bereits Sonntag anreisen. Das Übernachtungsproblem löste die Jugendherberge Bad Godesberg - je sieben Mark pro Nase. Jeweils rund zehn Mark gingen für U-Bahn-Fahrten und kleines (Bäcker-)Frühstück drauf. Abendbrot besorgten wir uns in der Landesvertretung des Freistaats Bayern. Dort gab es an jenem Sonntag wegen der Landtagswahl eine Wahlparty für Journalisten.

Den Montag über - wir mussten das Interview noch am selben Tag autorisieren lassen - versorgte uns die SPD-Zentrale mit Kaffee und Keksen. Am Abend, unser Zug ging kurz vor Mitternacht, waren wir Gäste des SPD-Sprechers. Am Ende leistete sich jeder von uns noch eine Milka-Lila-Pause. So eine günstige Dienstreise gab es nie wieder.