Der hessische Ministerpräsident und CDU-Vize Roland Koch nimmt Abschied - und verweist auf seine politischen Leistungen.

Frankfurt. Die Frage nach seinem Lebenstraum scheint Roland Koch nicht zu behagen. Er schweigt bedrohlich lang. Dann ringt er sich ein Schmunzeln ab. "Sie werden es vielleicht nicht glauben. Aber ich habe mir mehr als einen Lebenstraum erfüllt", sagt er bedächtig. Mehr als zehn Jahre sei er einflussreicher Politiker gewesen, eine prägende Figur der deutschen Politik, zählt er auf. "Ich hatte als Ministerpräsident mehr Einfluss als die meisten Minister in Berlin", sagt er. Das sei schon eine "faire Geschichte für alle Beteiligten" gewesen. Eine faire Geschichte. Koch will nicht sagen, dass er sich auch mal mehr zugetraut hatte, als nur Ministerpräsident zu sein. Er will zufrieden klingen. Es ist ohnehin bald vorbei, das alte Leben. Am 31. August überlässt er das Wiesbadener Regierungsamt nach elf Jahren seinem jetzigen Innenminister Volker Bouffier. Im Herbst gibt er auch sein Amt als CDU-Vize auf. "Politik ist nicht mein Leben", sagte er am 25. Mai, als er seinen Rücktritt ankündigte. Mit 52 Jahren soll noch etwas Neues kommen.

Koch lehnt sich zurück, blickt durch die Windschutzscheibe auf ein Meer von Bremslichtern. Er sitzt in der ersten Reihe eines Reisebusses - und steht auf der Autobahn im Stau. Der Tag ist bis dahin reibungslos verlaufen, jeder Termin pünktlich auf die Minute. Es ist der Tag der Abschiedsreise des hessischen Ministerpräsidenten durch sein Land. Von Wiesbaden ging es nach Frankfurt, von dort nach Gießen, und jetzt - auf der letzten abendlichen Etappe zu einem Empfang in Kassel - behindert ein Unfall Kochs Weiterkommen.

Dieser Tag auf Reisen ist ihm wichtig. Er wollte noch einmal Orte anfahren, in denen er wichtige Projekte seiner Amtszeit angestoßen hat. Also besuchte er am Morgen eine Schule, in denen Kinder aus Einwandererfamilien auf Initiative der Koch-Regierung in vorschulischen Kursen ihre Deutschkenntnisse aufbessern. Vormittags betrat er dann die Baustelle der Nordwestlandebahn am Frankfurter Flughafen, um den seiner Meinung nach "alternativlosen" Ausbau des Flughafens zu verteidigen. Er fuhr mittags zum hochmodern ausgestatten Polizeipräsidium in Frankfurt, um auf seine Erfolge in der inneren Sicherheit zu verweisen. Als gewiefter Sanierer präsentierte er sich am Nachmittag beim fusionierten Uniklinikum Gießen-Marburg, das Koch als erste Klinik bundesweit privatisieren ließ. Und zwischendurch legte er einen Stopp bei McDonalds ein, verputzte einen Burger mit Pommes und sprach darüber, vielleicht einmal als Hobbykoch in einer Hotelküche zu arbeiten. Er gibt sich unbeschwert, wenn er über seinen Abschied aus dem politischen Alltag spricht.

Nur eines ist ihm noch wichtig: Auf der Zielgeraden seiner Amtszeit will Koch, der sich als Manager der Hessen AG sieht, noch einmal zeigen, was er alles in seinem Land bewegt hat. Er will nicht als der Unvollendete in die Geschichtsbücher eingehen. Nicht als der Mann, der so viel konnte und wollte, aber an Angela Merkel nie vorbeikam und deshalb frustriert aufhörte. Lieber will er als der beste Ministerpräsident gelten, den Hessen je hatte. Zumindest wird er derjenige mit der steilsten und turbulentesten Karriere sein: mit 14 Jahren Ortsgruppen-Gründer der Jungen Union, mit 29 Einzug in den Landtag, mit 41 Regierungschef.

Beim Loslassen hilft ihm die Erinnerung an 2008. Die Niederlage nach dem umstrittenen Angriffswahlkampf gegen junge ausländische Straftäter war für Koch ein einschneidendes Erlebnis, das ihm jetzt vieles leichter macht. Er wisse, wie es ist, "rausgeschmissen zu werden", sagt Koch. Als die SPD-Politikerin Andrea Ypsilanti schon wie die sichere Nachfolgerin aussah, bekam Koch Anrufe mit Angeboten. Da wusste er, dass es auch ohne Politik funktionieren würde. Er trat trotzdem noch einmal an, wurde wiedergewählt - und wartete anderthalb Jahre. Kurz nachdem Koch seinen Rückzug bekannt gegeben hatte, sagte der damalige niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff, man müsse auch nachdenken, "wenn man gute Leute verliert". Der Satz galt der Bundeskanzlerin. Gut einen Monat später war Wulff Bundespräsident. Über ihn sagt Koch: "Er hat sich seinen Lebenstraum erfüllt."

Dass nun so viele in der Partei dem hessischen Regierungschef nachtrauern und um das konservative und wirtschaftspolitische Profil der Partei bangen, dass Leute wie Ex-CSU-Chef Edmund Stoiber sagen, "dass man Roland Koch unbedingt in der Politik halten sollte", kann ihn nicht mehr umstimmen. Lieber will er im September in "ein wahres Loch fallen", wie er kürzlich zugab. Es sei ein Abgang "ohne Rückfahrkarte". Er will bald Aufsätze schreiben, Reden halten und als CDU-Ehrenvorsitzender von Hessen auch bei Bundesparteitagen vorbeischauen, weil es da "warme Suppen" gibt. Aber sich einmischen, Politik machen, auf sich verändernde Lagen reagieren - das soll es in Kochs neuem Leben nicht mehr geben. "Ich bleibe aber eine Person des politisch-gesellschaftlichen Lebens", versichert er. Für den Übergang wird Koch noch einen Fahrer gestellt bekommen, dazu eine Schreibkraft und einen Referenten. Für ein halbes Jahr soll es diese Regelung geben. Danach muss Koch wieder selbst ans Steuer.

Am Abend seiner Hessen-Reise, im Stau stehend, vergleicht er seinen Rückzug mit dem Abschied Ole von Beusts in Hamburg. Beide Rücktritte seien "identisch", ist er überzeugt. "Wir haben beide gesagt, dass wir das nicht ewig machen. Und wir sind bei unserer Meinung geblieben." Der Stau auf der Autobahn löst sich auf. Der Busfahrer gibt Gas. Und Roland Koch will jetzt ein wenig in Ruhe gelassen werden. In Kassel muss er gleich eine Rede halten. Und er will vorbereitet sein. Noch ist er der Ministerpräsident.