Parteichef Gabriel will höhere Steuern und rüttelt an der Rente mit 67. Die Parteilinke feiert den endgültigen Abschied von der Agenda-SPD.

Hamburg. Wenn eine Partei sich streitet, dann sprechen ihre Protagonisten in der Öffentlichkeit gern von einem "Klärungsprozess". Das klingt zum einen harmloser, zum anderen wird bei einem "Klärungsprozess" der Eindruck vermittelt, man arbeite in der Partei friedlich und geschlossen an einer Lösung. Wenn es um die Rente mit 67 geht, dann hört man in der SPD das Wort "Klärungsprozess" in diesen Tagen auffallend häufig. Mit anderen Worten: Der Parteifrieden ist in höchster Gefahr. Ausgerechnet die beiden Spitzenvertreter - Parteichef Sigmar Gabriel und Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier - suchen in der Rentenfrage die Machtprobe . Geht es nach Gabriel, muss es vorerst bei der Rente mit 65 bleiben. Geht es nach Steinmeier, ist die Rente mit 67 unvermeidlich. Beide segneten als Minister in der Großen Koalition die Reform zum Renteneintrittsalter ab.

Es geht in dem Streit um nicht weniger als das Erbe der Regierungsjahre. Es geht auch um das politische Vermächtnis von Ex-Parteichef Franz Müntefering - und um die Glaubwürdigkeit von Steinmeier selbst. Der Fraktionsvorsitzende meldete sich gestern in der "Passauer Neuen Presse" zu Wort und wollte von einem Zwist zwischen ihm und Gabriel nichts wissen. "Wir lassen uns da keinen Grundsatzstreit einreden", sagte Steinmeier. Seine und Gabriels Auffassung seien zwei Seiten derselben Medaille: "Wir werden in Europa und Deutschland mittelfristig länger arbeiten müssen, sage ich. Gabriel weist darauf hin, dass die Menschen auch die Möglichkeit haben müssen, länger zu arbeiten, bevor das Renteneintrittsalter erhöht wird. Beides ist richtig."

Am Wochenende hatte Steinmeier aber noch weitaus mutiger die Rente mit 67 verteidigt. "Müssen wir über das 65. Lebensjahr hinaus arbeiten? Ich denke, daran wird im Ergebnis kein Weg vorbeigehen", hatte er dem "Deutschlandfunk" gesagt. Er will an dem Plan festhalten, an dem auch die jetzige schwarz-gelbe Bundesregierung nicht mehr rütteln will: Die Altersgrenze für die Rente soll zwischen 2012 und 2029 schrittweise von 65 Jahren auf 67 Jahre angehoben werden. Für Rentenversicherte ab Jahrgang 1964 wird dann die Regelaltersgrenze von 67 Jahren gelten.

Bis zum vergangenen Wochenende hatte sich Gabriel weder zu dieser Regelung klar bekannt noch von ihr deutlich distanziert. Doch inzwischen hat Gabriel mal eben mit wenigen Sätzen die Rente mit 67 vollständig infrage gestellt: Solange es nicht gelinge, tatsächlich den Anteil derjenigen zu erhöhen, die zwischen 60 und 64 arbeiten, könne die Rente mit 67 nicht eingeführt werden, hat Gabriel festgestellt. Sonst sei der Beschluss "nichts anderes als eine Rentenkürzung". Seitdem erhält der Parteichef reichlich Lob aus dem linken Parteiflügel. Auch der Sprecher der Parlamentarischen Linken in der SPD-Bundestagsfraktion, Ernst Dieter Rossmann, unterstützt den Parteichef. "Es ist noch gar nicht klar geworden, ob die Rente mit 67 funktionieren kann. Es ist schwer vorstellbar, dass ein Arbeiter auf dem Bau bis 67 arbeiten soll", sagte Rossmann dem Abendblatt. "Ich als bald 60-jähriger Hobbyhandwerker kann mir schon nicht vorstellen, mit 67 noch körperlich hart zu arbeiten." Wenn hinter der Rente mit 67 eine verdeckte Rentenkürzung stehe, wäre das "inakzeptabel", so der Abgeordnete.

Die Parteilinke hat Gabriel mit seinem Vorstoß schon einmal auf seiner Seite. Vor einem Dreivierteljahr, als der Ex-Umweltminister die Führung übernahm, konnte er sich dieses Beistands längst nicht sicher sein. Nun aber darf er davon ausgehen, dass auch sein Stellvertreter Klaus Wowereit und Generalsekretärin Andrea Nahles, die bislang schärfsten Kritiker der einstigen sozialdemokratischen Basta-Politik, mit Wohlwollen die Entwicklung beobachten. Ein entsprechendes Rentenpapier, von Ex-Arbeitsminister und Parteivize Olaf Scholz erarbeitet, soll angeblich das Fundament für die Abkehr von der Rente mit 67 erbringen. Aus dem Umfeld von Scholz heißt es wiederum, man wisse nichts von so einem Papier. Der Hamburger SPD-Vize will nicht auch noch in den Konflikt hineingezogen werden, sondern seine Rolle als von allen Flügeln geschätzter Konfliktvermeider noch lange ausfüllen.

Dagegen erscheint Steinmeier, der Architekt der Agenda 2010 und letzte Gerhard-Schröder-Treue in der neuen Führungsriege, zunehmend isoliert bei der programmatischen Neuausrichtung der Sozialdemokraten. Denn die Rentendebatte ist nur eines von mehreren Feldern, auf denen Steinmeier als Oppositionsführer und innerparteilicher Taktgeber wie abgemeldet wirkt. Auch dass die SPD Gutverdiener künftig wohl deutlich stärker belasten will, kann man als Angriff auf Steinmeiers politisches Erbe verstehen. Die SPD will mitunter genau jene Steuern wieder erhöhen, die sie in der Zeit von Steinmeiers Regierungsbeteiligung gesenkt hatte. Seine Partei hat vor allem den Spitzensteuersatz im Visier, den Kanzler Schröder und Steinmeier als Kanzleramtsminister einst von 53 auf 42 Prozent herabstuften. Noch als Kanzlerkandidat sprach sich Steinmeier im vergangenen Sommer unermüdlich gegen jede Form von Steuererhöhungen aus.

Aber jetzt will die SPD bei den Steuern aufs Ganze gehen: Der Spitzensteuersatz soll wieder auf 50 Prozent steigen, so steht es in einem neuen Konzept. Ganz neu ist diese Forderung aber nicht: In den vergangenen Jahren hatte sie Linken-Parteichef Oskar Lafontaine wiederholt formuliert und als Argument stets die Spitzensteuersätze der europäischen Nachbarn angeführt.

Die SPD will mehr, als den Spitzensteuersatz erhöhen. Sie will die Erbschaftssteuer-Regelungen verschärfen, die Vermögenssteuer für private Vermögen wieder beleben und eine Finanztransaktionssteuer einführen. Dazu soll die Abgeltungssteuer auf Aktiengewinne und Zinseinkünfte von 25 Prozent auf 30 Prozent angehoben werden. Noch schweigt Steinmeier zu diesen Plänen. Würde er sich jetzt zu Wort melden, könnte er womöglich den nächsten Konflikt mit seinem Parteichef riskieren.

Erst die Steuerpläne, jetzt die Rentendebatte: Für die SPD-Linke läuft es gut. Sie tritt inzwischen so selbstbewusst auf wie seit Jahren nicht mehr. Der Sprecher der Parlamentarischen Linken, Rossmann, gibt offen zu, dass er sich in der SPD von heute wieder richtig wohl fühlt. "Wir haben für die faktische Abschaffung der Arbeitslosenhilfe bei den Wahlen bitter bezahlt", erinnert er sich. "Daraus haben wir gelernt. Wir sind jetzt eine andere SPD", sagt Rossmann. Und er ist überzeugt: "Gerhard Schröder ist jetzt Geschichte. Die SPD hat wieder zu sich selbst gefunden." Die Partei habe wieder ein klares Profil, lobt Rossmann. Sie vertrete wieder stärker die linke Mitte und nicht mehr eine diffuse Mitte. Und Rossmann kommt zu dem Schluss: "Die SPD ist wieder eine linke Volkspartei geworden."