Medizinischer Fortschritt, gesellschaftlicher und demografischer Wandel schlagen sich in der Statistik nieder

Hamburg. Angelina Jolie hat es getan, Madonna und Altkanzler Gerhard Schröder auch. Sie haben Kinder aus dem Ausland adoptiert. Und wenn diese Meldungen durch die Nachrichten laufen, dann klingen die Telefone in der Gemeinsamen Zentralen Adoptionsstelle (GZA) der norddeutschen Bundesländer Hamburg, Bremen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein einmal mehr. "Das löst immer einen Boom aus", sagt der Leiter der GZA, Rolf Bach. Dennoch gehen die Adoptionszahlen insgesamt seit Jahren zurück. Sie haben 2009 nach der gestern veröffentlichten Mitteilung des Statistischen Bundesamtes in Wiesbaden einen neuen Tiefststand erreicht. Grund dafür ist nach der Erfahrung von Bach das Bestreben, die Kinder möglichst in ihren Herkunftsfamilien zu halten.

3888 Adoptionen gab es 2009 in Deutschland, davon 69 in Hamburg. Bundesweit ist das knapp ein Viertel (23 Prozent) weniger als 2004 und sogar mehr als die Hälfte (54 Prozent) weniger als noch 1994. Bei mehr als der Hälfte der Adoptionen handelt es sich um Stiefelternadoptionen, 1692 Kinder wurden von nicht verwandten Personen aufgenommen. Dieses Verhältnis hat sich nach Angaben der Statistiker nicht wesentlich verändert.

Insgesamt handelt es sich bei etwa einem Drittel (1025) der Kinder um Ausländer. Doch der Trend bei den offiziellen ausländischen Adoptionen zeigt ebenso nach unten wie bei den deutschen. Rückläufig ist auch die Zahl der Bewerber. Dennoch kommen auf ein zur Adoption vorgemerktes Kind - 2009 waren es 818 - noch immer neun Bewerbungen.

Für den Adoptions-Experten Bach spiegeln sich in diesen Zahlen der demografische Wandel der Bevölkerung und ein verändertes gesellschaftspolitisches Bild wider. In einer alternden Gesellschaft schrumpfe auch die Menge der jungen adoptionswilligen Paare. Zudem können unfreiwillig kinderlose Paare immer bessere medizinische Hilfe zur Verwirklichung ihres Kinderwunsches in Anspruch nehmen. Kaum jemand würde heute außerdem noch unfreiwillig schwanger, so Bach, gleichzeitig seien Kinder nicht verheirateter Eltern gesellschaftlich akzeptiert und der Staat unterstütze Eltern mit höheren Leistungen. Die Gründe, Kinder zu adoptieren, schwinden damit ebenso wie diejenigen, Kinder zur Adoption freizugeben. "Es führt dazu, die Kinder in den Familien zu behalten", sagt Bach.

Das bestätigt auch Tine Bredendiek von der Adoptionsvermittlungsstelle Findefux. 14 bis 16 Frauen, die überlegen, ihr Kind zur Adoption freizugeben, beraten die Experten im Jahr. Nur vier haben sich im vergangenen Jahr dann auch dafür entschieden. "Die anderen haben mit unserer Hilfe einen Weg gefunden, ihr Kind zu behalten", sagt Bredendiek. Dass auch bei Adoptionen aus dem Ausland die Zahlen zurückgehen, hängt nach Bachs Erfahrung, mit einem veränderten Verhalten nach Katastrophen zusammen. Aus Angst vor Kinderhändlern raten selbst Hilfsorganisationen in ungeklärten Situationen von Adoptionen ab. Wer in Deutschland ein Kind adoptieren will, muss meistens viel Geduld mitbringen und sich eingehend von den Jugendämtern prüfen lassen. Bei Paaren muss ein Partner mindestens 25 Jahre, der andere mindestens 21 Jahre alt sein. Eine Höchstaltersgrenze gibt es nicht, in der Regel halten sich die Jugendämter aber an 40 Jahre für die Adoption eines Säuglings.

Die Jugendämter müssen vom Wohl des Kindes ausgehend das richtige Paar finden. Das kann für Adoptionsbewerber Wartezeiten von bis zu sechs Jahren bedeuten. Viele Paare versuchen deswegen, ihren Kinderwunsch im Ausland zu verwirklichen. Etwa in Reproduktionskliniken oder über nicht offizielle Adoptionen im Ausland. Wer im Ausland eine Adoption abschließt, kann diese beim Standesamt anmelden. Sie taucht dann in keiner Statistik mehr auf. Bach schätzt, dass die Zahl der Adoptionen ausländischer Kinder deswegen um ein Drittel höher liegen könnte.

Diese Entwicklung will die FDP stoppen. Die familienpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion, Miriam Gruß, sagte gestern: "Wir brauchen hierzulande dringend eine Verbesserung der Adoptionsmöglichkeiten." Die wolle die Koalition fördern und "dem Trend zu unbegleiteten Adoptionen aus dem Ausland entgegenwirken".