Hannelore Kraft ist Ministerpräsidentin - auch weil sie eine starke Sylvia Löhrmann neben sich hat

Hamburg/Düsseldorf. Es gab einen Moment, in dem Hannelore Kraft ziemlich ratlos war. Er ist jetzt gut vier Wochen her - und Kraft schien weit weg von dem Erfolg des gestrigen Tages, als sie im Landtag in Düsseldorf zur Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen gewählt wurde. Damals endete für Kraft und ihre SPD ein Marathon an Sondierungsgesprächen. Ohne Erfolg. Schon nach wenigen Stunden brach sie die Verhandlungen mit der Linkspartei ab. Lange hatte es Kraft mit der Union versucht, um es dann doch mit der FDP zu probieren. Aber eine Koalition der SPD mit Liberalen und Grünen scheiterte. Kraft blieb der Trost einer Politik aus der Opposition heraus. Irgendwie. Zur Not vorerst auch weiter mit Jürgen Rüttgers als Ministerpräsident.

Doch Sylvia Löhrmann, die Chefin der Grünen in NRW, wollte sich damit nicht abfinden. Sie geißelte Krafts Vorhaben als "Förderprogramm für Politikverdrossenheit". Klar, eine rot-grüne Minderheitsregierung sei ein Risiko. "Aber in jedem Risiko steckt eine Chance", sagte Löhrmann damals trotzig. Rot-Grün ohne Mehrheit im Parlament - Löhrmann nannte es den "besonderen Kick". Dass Kraft nun zur Ministerpräsidentin gewählt wurde, ist auch ein Triumph für Löhrmann. Die Grünen wurden die treibende Kraft eines politischen Experiments, das seit gestern in Düsseldorf begonnen hat. Ohne eigene Mehrheit und ohne festes Tolerierungsbündnis wollen SPD und Grüne das größte deutsche Bundesland regieren.

Doch wenn es gut geht, könnte am Ende die Wiedergeburt der rot-grünen Farbkombination stehen. Und mit nur einer fehlenden Stimme ist die Minderheitsregierung zwischen SPD und Grünen nicht nur auf dem Papier stark.

Auch die Spitzen dieses Bündnisses strahlen Geschlossenheit aus. Kraft und Löhrmann duzen sich, nach der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags umarmten sie sich herzlich. Es ist die erste bundesweite weibliche Doppelspitze. Es könnte zudem der Aufbruch in eine Politik der Sachlichkeit werden. Für einige auch deshalb, weil das Frauen-Duo mit seinem Verständnis vom Regieren so einen klaren Kontrast zum Duo Merkel/Westerwelle bildet. Kraft und Löhrmann stehen beide für eine pragmatische Politik. Sie wollen integrieren nicht intrigieren. Diese Eintracht lässt sich auch in den Biografien der Politikerinnen nachlesen. Kraft und Löhmann kommen beide aus dem Ruhrgebiet, sie eint der Kampf für den sozialen Aufstieg. Als künftige Schulministerin will Löhrmann längeres gemeinsames Lernen. Es schaffe Bildungsgerechtigkeit. Da sei sie geprägt von den Erfahrungen als Gesamtschullehrerin. Bis 2015 sollen 30 Prozent der Schulen in Gemeinschaftsschulen umgewandelt sein.

Es soll eine Begegnung auf Augenhöhe werden zwischen Kraft und Löhrmann. Nicht mehr "Koch und Kellner" wie einst bei Gerhard Schröder und Joschka Fischer. Und dennoch bleibt das rot-grüne Minderheitsbündnis ein Wagnis. Hannelore Kraft geht angeschlagen in die Regierung, obwohl sie erfolgreich zur Chefin gewählt wurde. Seitdem Löhrmann sie in eine Minderheitsregierung drängte, gilt Kraft einigen Beobachtern als die Schwächere im rot-grünen Frauen-Duo. Kraft wird sich abgrenzen müssen gegen ihre grüne Ministerin. Schrille Töne könnten die bisherige Harmonie brechen.

Außerdem haben CDU und FDP einen harten Oppositionskurs angekündigt. Dabei will Rot-Grün schon in der kommenden Woche ein Gesetz zur Stärkung der Stadtwerke durchsetzen. Auch hier könnte Löhrmann als gelernte Pädagogin wertvoll sein für die Ministerpräsidentin. Sie wird entschieden CDU und FDP locken, einzelnen Gesetzen zuzustimmen. Zumal sich Löhrmann auch mit der Union gut versteht. Vor der Wahl galt sie lange als Wegbereiterin einer schwarz-grünen Koalition.