Ex-Ministerpräsidentin Heide Simonis über die Zukunft in NRW und die Linkspartei

Hamburg. Heide Simonis kann tanzen, Hannelore Kraft kann es nicht. Zumindest nicht so gut, das hat sie wiederholt gesagt. Aber das ist jetzt eigentlich auch egal. Gestern wurde Kraft zur neuen Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen gewählt, und da ist das mit dem Tanzen gar nicht mehr wichtig. Kraft also kann aufatmen - vorher allerdings hatte sie Bedenken. Und eine nie direkt geäußerte Angst, dass es ihr am Wahltag genauso gehen würde wie Heide Simonis.

Die war 2005 bei ihrem Versuch, erneut ins schleswig-holsteinische Ministerpräsidentenamt zu gelangen, in mehreren Wahlgängen gescheitert - und zwar an Abweichlern aus den eigenen Reihen. Später dann trat Simonis im Fernsehen auf, in einer Tanzshow. Wenn Kraft also im Vorfeld ihrer Wahl verkündet, nicht tanzen zu können, dann ist das eine klare Anspielung und ein Hinweis darauf, dass die Furcht da ist, dass eben doch nicht alles reibungslos laufen könnte. Dass das Simonis-Trauma auch fünf Jahre später immer noch Wirkung erzeugt.

Simonis selbst allerdings hat ihre gescheiterte Wiederwahl heute weitestgehend verschmerzt. "Allerdings ist die Situation nicht schön", sagte sie im Gespräch mit dem Abendblatt. Viel störender sei, "dass immer wieder dieser Vergleich gezogen wird." Zwischen Simonis und Kraft. Oder zwischen Simonis und Wulff, der bei seiner Wahl zum Bundespräsidenten auch mit Abweichlern aus den eigenen Reihen zu kämpfen hatte. "Aber damit muss man fertig werden."

Simonis und Hannelore Kraft kennen sich persönlich, erst vor Kurzem haben sie sich wieder getroffen. Gratulieren will Simonis der neuen NRW-Regierungschefin selbstverständlich, auch weil Kraft sehr gut vorbereitet in die Wahl gegangen sei. "Das zeigt, dass sie genug Erfahrung hat, um auch eine schwierige Zeit durchzustehen", so Simonis, die in Schleswig-Holstein die erste Ministerpräsidentin in der Geschichte der Bundesrepublik war, und das für eine zwölfjährige Amtszeit. Ratschläge will sie Kraft trotzdem nicht geben - zumindest nicht ungebeten. "Allerdings wird sie sich darauf einstellen müssen, dass man als Frau mit einem Hut auf dem Kopf oder fünf Ringen an der Hand manchmal mehr Aufmerksamkeit erregen kann als mit einem Plan zur Rettung der Finanzmärkte."

Eine noch größere Herausforderung wird für Kraft allerdings das Regieren ohne Mehrheit - ein Experiment, das es bisher kaum in Deutschland gegeben hat. "Zumal jetzt bei jeder anstehenden Entscheidung darauf geachtet wird, dass genug Stimmen zusammenkommen", glaubt Simonis. Es sei jedoch wichtig, "dass in NRW jetzt alles dafür getan wird, dass die neue Regierung hält." Alles andere würde die Deutschen verunsichern.

Die Minderheitsregierung hält Simonis prinzipiell für ein zukunftsfähiges Modell. "Man muss sich darauf einstellen, dass es in einem Fünf-Parteien-System und bei schwindender Wahlbeteiligung noch häufiger dazu kommen wird." Ein Problem indes macht Simonis bei den Linken aus. "Ich habe manchmal Schwierigkeiten zu glauben, dass die Linken schon in der Realität angekommen sind."

Forderungen, alle Millionäre zu enteignen, seien unseriös. Die Feststellung aber, dass es in Deutschland sozial ungerecht zugeht, sei aber in Ordnung. "Die Voraussetzung ist, dass die Linke mit sich selbst ins Gericht geht und ihre Positionen überprüft."

Die Möglichkeit einer rot-rot-grünen Koalition sieht Simonis allerdings dennoch nicht. "Da müsste man Positionen zusammen zwingen, die nicht zusammenpassen."