Christian Wulff gab in seiner Antrittsrede als Bundespräsident einen Ausblick auf seine Leitlinien

Berlin. Bundespräsident Christian Wulff hat in seiner Antrittsrede vor Bundestag und Bundesrat grobe Linien für seine Amtszeit dargelegt. Eine programmatische Rede wurde für den 3. Oktober 2010, zum Tag der Deutschen Einheit, angekündigt. Auszüge aus der Antrittsrede:

"Dies ist für mich ein bewegender Moment. Er erfüllt mich mit Freude und Ernst, mit Zuversicht und Demut. Ich weiß um die große Verantwortung, die das Amt des Bundespräsidenten mit sich bringt. Ich bin dankbar dafür, nun in diesem Amt dienen zu dürfen - Deutschland und den Deutschen und allen Menschen, die hier leben ...

Der Geist der Demokratie lebt von Gemeinschaftsgefühl und Begeisterung, von Beharrlichkeit und Durchsetzungsvermögen, von kühnen Ideen und gekonnter Verwirklichung. Unser Land ist reich an alledem. Seine größte Stärke sind die Menschen, die hier leben. Ihre Vielfalt und ihre Talente machen Deutschland lebens- und liebenswert.

Mir ist es wichtig, Verbindungen zu schaffen: zwischen Jung und Alt, zwischen Menschen aus Ost und West, Einheimischen und Zugewanderten, Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Arbeitslosen, Menschen mit und ohne Behinderung. Das ist nicht einfach - es gibt unterschiedliche Interessen, es gibt Vorurteile, Bequemlichkeiten und Anspruchsdenken. Ich will helfen, über all das hinweg Brücken zu bauen. Wir müssen unvoreingenommen aufeinander zugehen, einander aufmerksam zuhören, miteinander sprechen ...

Wann wird es endlich selbstverständlich sein, dass unabhängig von Herkunft und Wohlstand alle gleich gute Bildungschancen bekommen? Wann wird es endlich selbstverständlich sein, dass alle Kinder, die hier groß werden, auch die deutsche Sprache beherrschen? Wann wird es selbstverständlich sein, dass jemand mit den gleichen Noten die gleichen Aussichten bei einer Bewerbung hat, egal ob er Yilmaz heißt oder Krause? Meine Antwort lautet: Wenn wir weniger danach fragen, wo einer herkommt, als wo er hinwill. Wenn wir nicht mehr danach fragen, was uns trennt, sondern was uns verbindet. Und Deutschland wird auch dann gewinnen, wenn wir weniger danach fragen, wie alt jemand geworden ist, sondern erkennen, wie jung viele geblieben sind ...

Die politischen Parteien sind viel besser als ihr Ruf. Dennoch greift das Gefühl um sich, die Parteien seien verschlossen und neigten dazu, die Herausforderungen nicht beim Namen zu nennen. Die politische Willensbildung unseres Volkes braucht möglichst viele Bahnen, auf denen sich neue Ideen, Argumente und Mehrheiten von der Graswurzelebene bis in die Parlamente und Kabinettsäle verbreiten...

Wir müssen dafür sorgen, dass sich Finanz- und Wirtschaftskrisen solchen Ausmaßes nicht wiederholen. Darum ist es wichtig, die Verursacher der Bankenkrise in Haftung zu nehmen und den Finanzmärkten endlich gute Regeln zu geben ...

Die Globalisierung bietet für Deutschland große Chancen. Gleichzeitig stehen wir vor globalen Problemen, die Deutschland nicht alleine wird lösen können, wie Klimawandel, die Wirtschafts- und Finanzkrise, Migration, Bedrohungen unserer Sicherheit durch Terrorismus und organisierte Kriminalität und andere Fragen ...

Für die Gestaltung des Globalisierungsprozesses brauchen wir zunächst einen festen Ankerpunkt in der Europäischen Union. Sie ist ein einzigartiges Friedens-, Werte- und Wohlstandsprojekt, mit dem die Völker unseres Kontinents die Konsequenzen aus Jahrhunderten von Kriegen und Zerstörung gezogen haben ...

Unsere Vielfalt ist zwar manchmal auch anstrengend, aber sie ist immer Quelle der Kraft und der Ideen und eine Möglichkeit, die Welt aus unterschiedlichen Augen und Blickwinkeln kennenzulernen. Wir sollten neugierig sein und ins Gespräch kommen. Besonders dazu will ich beitragen ..."