Bisher bekommen sie 40 Prozent weniger Geld als Hartz-IV-Empfänger. Karlsruhe verhandelt über Neuberechnung und kritisiert die Regierung.

Hamburg. Die Bilder vom Krieg in Syrien, von Kindern in Trümmern und von Leichen im Dreck der Straße, das Dröhnen der Kampfhubschrauber - sie erreichen die Welt meist nur durch Videos im Internet, Quelle unbekannt. Doch das Schicksal der Menschen in Syrien erreicht die Welt auch durch diejenigen, denen die Flucht aus dem Grauen des Krieges gelingt. Sie kommen unter anderem nach Deutschland. Die Zahl der Asylbewerber aus Syrien hat sich in den vergangenen Monaten mehr als verdoppelt. Im März waren es 165, im Mai schon 362.

Wie alle Asylbewerber und Flüchtlinge haben auch Syrer in Deutschland ein Recht auf Sozialleistungen. Knapp 225 Euro bekommt ein Asylsuchender derzeit pro Monat - knapp 40 Prozent weniger als ein Empfänger von Hartz IV. Seit 1993 hat sich dieser Betrag nicht geändert, obwohl der Gesetzgeber bei Bedarf zur Anpassung verpflichtet ist. Und das Preisniveau ist seit 1993 in Deutschland um 30 Prozent gestiegen.

Seit Mittwoch verhandelt nun das Bundesverfassungsgericht darüber, ob die 225 Euro monatlich für ein menschenwürdiges Existenzminimum ausreicht - und eine erste starke Kritik des Gerichts an der Bundesregierung macht deutlich: Die Richter werden sehr wahrscheinlich vom Gesetzgeber eine Erhöhung des Betrags verlangen. Betroffen sind etwa 130.000 Menschen in Deutschland. Geklagt haben ein Kurde, der 2003 aus dem Irak geflohen war, und eine heute 14 Jahre alte Nigerianerin, die inzwischen Deutsche ist.

Das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum wurde vom Verfassungsgericht erstmals im Jahr 2010 formuliert, als es eine Neuberechnung der Hartz-IV-Sätze verlangte. Die Leistungen für Asylbewerber müssten sich daran messen lassen und transparent, realitätsgerecht und nachvollziehbar sein, sagte der Vorsitzende Richter Ferdinand Kirchhof gestern. Der Hartz-IV-Satz beträgt 364 Euro im Monat.

Ungewöhnlich klar kritisierten die Richter die Bundesregierung. Ob in den vergangenen 19 Jahren bei der Anpassung der Sätze nicht wenigstens Zwischenlösungen möglich gewesen seien, fragte etwa Richter Reinhard Gaier. Vor dem Gerichtsgebäude in Karlsruhe protestierten Flüchtlingshilfeorganisationen gegen die Politik der Regierung. Auf Plakaten von Pro Asyl stand "Stoppt die Diskriminierung per Gesetz" und "60 Prozent Menschenwürde".

Auch aus Hamburg kommt Kritik an den bisher im Asylbewerberleistungsgesetz festgeschriebenen 224,90 Euro im Monat. "Asylbewerber können sich kaum Fahrten zu Beratungsstellen leisten", sagt Uwe Giffei von der kirchlichen Beratungsstelle Fluchtpunkt. Gerade Kinder seien betroffen. Sie könnten sich Freizeit mit deutschen Freunden nicht leisten und deshalb häufig nicht am sozialen Leben der Klassenkameraden teilnehmen. Antje Möller, flüchtlingspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, ergänzt: "Weder Deutschkurs noch Kinobesuch sind damit finanzierbar, die Integration in das Leben in Hamburg nicht möglich."

+++Hamburgs Asylbewerber sollen in "Geisterhäuser" ziehen+++

Wie im gesamten Bundesgebiet ist auch in Hamburg die Zahl der Asylbewerber 2011 gestiegen. 1546 Menschen suchten in der Stadt Asyl, im Vorjahr waren es noch 1378 gewesen. Die meisten von ihnen kommen aus Afghanistan und dem Iran. Im Vergleich zu anderen Bundesländern leben nur wenige Flüchtlinge aus Syrien in Hamburg. Hamburgs Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) begrüßt die Verhandlungen am Verfassungsgericht in Karlsruhe. Die SPD-Länder hätten immer wieder gefordert, die Regelsätze des Asylbewerberleistungsgesetzes anzupassen. "Der Bund ist dieser Forderung bisher nicht nachgekommen", sagte Scheele dem Abendblatt. 2011 erhielten 4277 Menschen in Hamburg Sozialleistungen als Asylbewerber oder Flüchtlinge. Seit 2005 war die Zahl zunächst kontinuierlich gesunken, erst im vergangenen Jahr stieg sie wieder leicht an.

Der integrationspolitische Sprecher der CDU-Fraktion in Hamburg, Nikolaus Haufler, fordert ebenfalls nachvollziehbare Berechnungen der Leistungen an Asylbewerber. Gleichzeitig hebt er hervor: "Wir wollen aber keine Einwanderung in unser Sozialsystem fördern." Andere EU-Länder würden deutlich weniger Leistungen zahlen als Deutschland. "Viele ziehen deshalb vor, in Deutschland Asyl zu beantragen", sagte Haufler dem Abendblatt.

In Paragraf 3 des Asylbewerberleistungsgesetzes sind die Beträge für Ernährung, Unterkunft, Kleidung, Gesundheit sowie Haushalt geregelt. Sie werden vorrangig als Sachleistungen zur Verfügung gestellt, 40 Euro im Monat zahlt der Staat bar als Taschengeld aus. Anders als in vielen Bundesländern zahlt Hamburg die 225 Euro jedoch komplett aus - Geld statt Sachleistung. Auch Flüchtlingsorganisationen loben die Behörde dafür, da es das Selbstbestimmungsrecht der Flüchtlinge stärke.

Doch es gibt auch Kritik an der Asylpolitik des Senats, vor allem beim Thema Unterkünfte: "Hier brauchen wir mehr Wohnungen, gleichzeitig eine bessere Versorgung durch Ärzte und Zugang zu Bildung. Das ist insbesondere im Auffanglager Horst nicht gegeben", sagt Giffei von Fluchtpunkt. Das Lager in Mecklenburg-Vorpommern wurde in den vergangenen Jahren mehrfach wegen seiner stark isolierten Lage in einer ehemaligen Kaserne der DDR-Grenztruppen kritisiert - auch von der SPD. Doch der Senat führt das Lager nun fort. Auch Kinder sind nach Angaben von Fluchtpunkt dort untergebracht, weil Wohnungen für Asylbewerber andernorts fehlen.

Der Senat plant nun, bis Ende 2014 weitere 500 Wohnungen für Obdachlose und Asylbewerber zu schaffen. 70 Wohnungen hat die Sozialbehörde davon bisher eingerichtet. In den Bezirken Altona, Wandsbek, Nord und Harburg sollen Plätze aufgestockt werden.