80.000 Asylbewerber leben mit 60 Prozent des Hartz-IV-Satzes im Monat. Karlsruher Richter verhandeln nun, ob das zum Leben reicht.

Karlsruhe. Die Richter des Bundesverfassungsgerichts haben deutliche Zweifel daran geäußert, ob die Leistungen für Asylbewerber ausreichend sind. Es bestehe eine „ins Auge stechende Differenz“ zwischen den Hartz-IV-Sätzen und den deutlich niedrigeren Geldleistungen für Asylbewerber, sagte der Vizepräsident des Gerichts, Ferdinand Kirchhof, in der mündlichen Verhandlung am Mittwoch in Karlsruhe.

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Die Leistungen für Asylbewerber und andere Menschen ohne dauerhaftes Aufenthaltsrecht wurden seit 1993 nicht mehr erhöht. Während ein Hartz-IV-Empfänger einen Regelsatz von 364 Euro pro Monat erhalte, seien es bei Flüchtlingen etwa 220 Euro, sagte Kirchhof. Hinzu komme, dass die Berechnung der Leistung für Asylbewerber „weder erklärt noch dokumentiert“ wurde. Die Leistungen müssten sich genauso wie die Hartz-IV-Sätze „am Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums messen lassen“, so Kirchhof.

Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen hält die Beträge für zu niedrig und hat das Gesetz in Karlsruhe zur Prüfung vorgelegt. Ursprünglich galt das Asylbewerberleistungsgesetz nur für Flüchtlinge während des Asylverfahrens; die Anwendung wurde aber inzwischen auf andere Menschen ohne dauerhaftes Aufenthaltsrecht ausgeweitet. Bisher erhalten alleinstehende Asylsuchende monatlich insgesamt 225 Euro für ihren Lebensunterhalt. Familienangehörige bekommen 199, Kinder unter sieben Jahren sogar nur 133 Euro. Zum Teil müssen die Betroffenen über Jahre hinweg von diesen Leistungen leben. Seit 1993 wurden diese Leistungen nicht erhöht.

Geklagt haben ein kurdischer Flüchtling aus dem Irak, der 2003 nach Deutschland kam, und ein heute elfjähriges, aus Liberia stammendes Mädchen, das mittlerweile die deutsche Staatsangehörigkeit hat. Nach Schätzungen von Hilfsorganisationen müssen in Deutschland rund 80.000 Menschen mit diesen Grundleistungen auskommen. Das Urteil der Karlsruher Richter wird erst nach der Sommerpause erwartet.

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Vor dem Gerichtsgebäude demonstrierten rund 50 Menschen gegen das Asylbewerberleistungsgesetz. Auf den Plakaten stand „Stoppt die Diskriminierung per Gesetz“ und „60 Prozent Menschenwürde“. Der stellvertretende Pro-Asyl-Geschäftsführer Bernd Mesovic äußerte seine Überzeugung, dass Karlsruhe „nicht nichts tun kann“. Nach seiner Einschätzung wird das Verfahren „mindestens zu einem Teilerfolg führen“. Ein solches Gesetz hätte es nie geben dürfen, weil damit „Menschen als Ausdruck einer Abschreckungsideologie zu Staatsgeiseln genommen“ worden seien, so Mesovic. Dabei sei es beispielsweise einem verfolgten Afghanen relativ egal, nach welchen Kriterien sich in Deutschland welche Sozialleistungen berechneten.

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International bezeichnet die Regelung als verfassungswidrig. „Die seit 1993 geltenden Summen gewährleisten kein menschenwürdiges Leben“, sagte Katharina Spieß, die Amnesty am Mittwoch in der Verhandlung vertritt, am Dienstag in Berlin. „Deutschland verstößt mit dieser Regelung gegen den Uno-Sozialpakt“, so Spieß. „Darüber hinaus verletzt es international garantierte Kinderrechte.“ In Deutschland lebten über 24.000 Kinder und Jugendliche von Zuwendungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Sie bekämen damit über 30 Prozent weniger als Kinder, die Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch erhalten. „Das verstößt gegen die Kinderrechtskonvention.“ In einigen Bundesländern bekämen Asylsuchende über Jahre hinweg einen Großteil der Leistungen zudem in Form von Lebensmittelpaketen oder Wertgutscheinen. "Diese Praxis verschärft die Situation der Betroffenen noch“, ergänzte Spieß.

Mit Material von dapd/kna