Die SPD-Troika zu Besuch: die sechstgrößte Stadt Schleswig-Holsteins spielt politisch eine Rolle, die weit über die Landesgrenzen hinausreicht.

Elmshorn. Es passiert nicht allzu oft, dass Sigmar Gabriel, Peer Steinbrück und Frank-Walter Steinmeier zusammen auftreten, schon gar nicht außerhalb Berlins. Wenn es dann doch einmal geschieht, wenn die Kalender des Parteivorsitzenden, des ehemaligen Finanzministers und des amtierenden Fraktionsvorsitzenden der SPD tatsächlich einen gemeinsamen Termin ermöglichen, lohnt es, genau hinzusehen. Und zu fragen: Was will die Troika, und warum ist sie ausgerechnet hier?

Hier, das war gestern Abend die Sporthalle des Elmshorner Männer-Turnvereins. Wahlkampf in Schleswig-Holstein, zusammen mit und für den Spitzenkandidaten Torsten Albig, der am politischen Aschermittwoch laut "FAZ" noch wie folgt über seine Chefs kalauerte: "Der Sigmar hat schon mal fast eine Wahl gewonnen, dem Peer fehlten in Nordrhein-Westfalen nur so ein paar Stimmen, und auch der Frank-Walter war ja schon mal fast erfolgreich." Ein bisschen Spaß muss sein, gerade wenn vom Spitzenpersonal der eigenen Partei noch keiner eine Wahl für sich entscheiden konnte. Der Kieler Oberbürgermeister Albig will am übernächsten Sonntag in seinem "Lieblingsland" vormachen, wie es geht. So gesehen, könnte die Troika in Elmshorn sogar etwas lernen. Obwohl die Herren deshalb ganz zuletzt gekommen sein dürften.

Es ist kurz nach halb acht, als die schweren Limousinen der Spitzenpolitiker am Koppeldamm vorfahren. Die wartenden Kameramänner und Fotografen rennen auf die Autos zu und nehmen die Türen ins Visier, um plötzlich hinter sich den Ruf zu hören: "Hier sind sie." Gabriel, Steinmeier und Steinbrück kommen den Fußweg entlang, breit grinsend wie drei Schuljungs, denen ein Streich gelungen ist. Sie sind an der Straßenecke ausgestiegen und schlendern wie einst Schröder, Lafontaine und Scharping nebeneinander zum Wahlkampfort. Es wären gute Bilder gewesen, wenn die Fotografen nicht in die falsche Richtung geguckt hätten.

"Überraschung", sagt Steinbrück. Die gibt es auch in der Sporthalle, als die drei auf dem abgewetzten Hallenboden einmarschieren. "Wir wollen den Kanzler sehen", rufen ein paar der rund 600 Gäste. Wen sie wohl meinen? Den meisten Applaus bekommt bei der Vorstellung der prominenten Gäste auf jeden Fall Sigmar Gabriel, und rote Schuhe für seine vor wenigen Tagen geborene Tochter gibt es als Geschenk dazu. Fehlt eigentlich nur noch der Spitzenkandidat der SPD für Schleswig-Holstein. Während Gabriel sich über die Schuhe freut, ist Albig gerade erst in Kiel von einem anderen Wahlkampfauftritt losgefahren. Er wird gegen kurz vor 21 Uhr in Elmshorn eintreffen.

Aber das ist eine Randnotiz, die meisten sind sowieso wegen der Troika gekommen. Als Steinbrück sich, kaum auf der Bühne, die Karaffe mit dem Wasser schnappt, sagt Gabriel: "Er schenkt halt anderen gern mal einen ein." Zum Beispiel den Hamburgern, denen der Hamburger Steinbrück einen Hang zur Selbstüberschätzung und Arroganz vorwirft, was den Schleswig-Holsteinern die Zusammenarbeit mit dem Nachbarn manchmal schwer mache. "Nach zwei Gläsern Weißwein habe ich schon mal den Nordstaat gefordert. Das würde ich jetzt nicht mehr", so Steinbrück. Aber in die Richtung müsste es halt schon gehen. Sagt es und erzählt noch schnell den Witz von dem Hamburger Pfeffersack, der seine Großmutter verkaufen, aber eben "nicht liefern" würde.

Die Rollen auf der Bühne sind klar verteilt: hier der scharfzüngige, Anekdoten versprühende Steinbrück, dort der nüchterne, ruhige Steinmeier. Und in der Mitte Gabriel, der etwas von beiden hat, der vielleicht kleinste gemeinsame Nenner der SPD. Er sagt auch, warum die Troika plötzlich in Elmshorn wieder auftaucht, auch wenn das "einige Journalisten belächeln würden": "Wir gehen dahin, wo die Mehrheit der Deutschen wohnt, und das sind halt nicht die großen Städte. Wir sind heute in Elmshorn, weil wir nicht glauben, dass das Leben in dieser Republik überall so ist wie in einem Bierdeckelradius rund um den Reichstag." Und ganz nebenbei klärt er auch noch die Kanzlerkandidatenfrage: "Wenn es am Ende mehrere Sozialdemokraten geben sollte, die sich für geeignet halten, dann werden natürlich die Mitglieder entscheiden."

Gabriel spricht am meisten, knapp gefolgt von Steinbrück, Steinmeier "ist einfach zu blass", sagt eine Elmshorner Sozialdemokratin. Wenn heute Abend der Kanzlerkandidat gewählt werden müsste, hätte der Parteivorsitzende gewonnen. Als es vorbei ist, wird klar: Dieser Auftritt, der erste seit Dezember vergangenen Jahres, war die Wiedergeburt der Troika. Die drei Herren werden künftig deutlich öfter gemeinsam zu sehen sein, mindestens bis zur Wahl in Niedersachsen im Januar 2013. Dann wird einer von ihnen tatsächlich Kanzlerkandidat werden, wer, dürfte von den Umständen abhängen. Erreicht die Krise um den Euro einen neuen Höhepunkt, spricht vieles für Steinbrück. Gilt es, die eigene Partei zu einen und hinter sich zu versammeln, hat Gabriel Vorteile. Steinmeier bekäme wohl nur eine zweite Chance, wenn außenpolitische Konflikte, etwa im Nahen Osten, Anfang kommenden Jahres die politischen Diskussionen bestimmen sollten. So oder so oder so: Der lange Weg, Herausforderer Angela Merkels zu werden, begann in Elmshorn.

Elmshorn? Es ist auf den ersten Blick verblüffend, dass sich die derzeit wichtigsten Sozialdemokraten der Republik ausgerechnet dort, in der nur sechstgrößten Stadt Schleswig-Holsteins, getroffen haben. Nicht in Kiel, nicht in Lübeck, nicht in Flensburg. Elmshorn. Das klingt für viele Hamburger zunächst nach Teppich Kibek, wer sich ein wenig mehr auskennt, weiß, dass auch die Köllnflockenwerke hier ihren Sitz haben.

Die Stadt auf Auslegeware und Schokomüsli zu reduzieren wäre jedoch grundfalsch. Elmshorn spielt im politischen Schleswig-Holstein eine Rolle, die weit über die Landesgrenzen hinausreicht.

Das hat aktuell damit zu tun, dass sowohl die SPD als auch die CDU erwarten, dass die Landtagswahl in den Hamburg-nahen Landkreisen entschieden wird, also in Pinneberg (zu dem Elmshorn gehört), in Stormarn und Segeberg. Viel wichtiger für die Stellung der Kleinstadt im politischen Gefüge des Nordens ist aber etwas anderes, nein, ein anderer: Hans Heinrich Driftmann. Der Kölln-Chef steuert von Elmshorn aus seit Jahren ein eindrucksvolles Netzwerk aus Kontakten, bringt geschickt Wirtschaft und Politik zusammen. Kaum ein Spitzenpolitiker aus Schleswig-Holstein, der noch nicht in Driftmanns kleinem Privatrestaurant Mercator zu Gast war, das im Schatten der Köllnflockenwerke steht. Ein schönes altes Haus, drei Zimmer, dazu im Obergeschoss eine Art Salon mit schweren Ledersesseln, wo Driftmann gern Proben aus seiner Whiskey-Sammlung anbietet, die zu den größten im Norden gehören soll.

Peter Harry Carstensen, noch amtierender Ministerpräsident Schleswig-Holsteins, war hier oft zu Gast, insbesondere Mitte des vergangenen Jahrzehnts. Damals kandidierte Carstensen erstmals als Ministerpräsident - gegen Landesmutter Heide Simonis. Sein Wahlkreis: Elmshorn. Der Mann aus Nordstrand machte fernab der Heimat Wahlkampf, ausgerechnet und bewusst in einer Region, die als tiefrot galt - und in der mit Driftmann der wichtigste Wirtschaftsvertreter des Landes saß. Als Industrie- und Handelskammerchef von Kiel, später auch von Flensburg und Lübeck, empfing Driftmann jedoch nicht nur Carstensen. Auch Simonis war im Mercator zu Gast, der damalige FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle, Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust. Und zwei junge Politiker aus dem Kreis Pinneberg: Christian von Boetticher und Ole Schröder.

Beide holten sich nicht nur Rat bei Peter Harry Carstensen, sondern eben auch bei Hans Heinrich Driftmann. So entstand eine kleine CDU-Troika mit Anhang: Carstensen wurde, mit etwas Glück, tatsächlich Ministerpräsident Schleswig-Holsteins und blieb es bis zum heutigen Tag; Christian von Boetticher stieg zum Landwirtschaftsminister auf, wurde Fraktionsvorsitzender und schließlich, wie geplant, Spitzenkandidat der CDU für die nun anstehende Landtagswahl. Seine politische Karriere endete erst, als eine Affäre mit einem 16 Jahre alten Mädchen bekannt wurde; Ole Schröder schließlich schaffte den Sprung in den Deutschen Bundestag, ist seit der letzten Bundestagswahl Staatssekretär im Bundesinnenministerium und dadurch unter anderem regelmäßig am Kabinettstisch im Bundeskanzleramt. Kommt hinzu, dass er, der Jüngste im 3+1-Bund, mit Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) verheiratet ist.

Und Hans Heinrich Driftmann? Der sieht die Bundeskanzlerin zwar nicht so oft wie die Schröders, aber fast. Seit 2009 ist er Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) und damit einer der wichtigsten Verbandschefs der gesamten Republik. Es begann in Elmshorn ...

"Ja, ich persönlich habe von der respektlosen anonymen Unanständigkeit gegenüber Heide Simonis profitiert." Peter Harry Carstensen

Wer die politische Bedeutung der unterschätzten Stadt verstehen will, sollte zudem wissen, dass Schröders größter Widersacher im Landkreis Pinneberg, Ernst Dieter Rossmann, einer der einflussreicheren Bundestagsabgeordneten der SPD ist. Der gebürtige (!) Elmshorner arbeitet unter anderem als bildungspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion und schafft es so leicht wie kaum ein anderer, hochrangige Sozialdemokraten in die Region zu holen. Und wie hieß schließlich die einzige Frau, die sich gegen Männer wie Albig und Ralf Stegner um die SPD-Spitzenkandidatur für die Landtagswahl in Schleswig-Holstein bewarb? Richtig: Brigitte Fronzek. Sie ist Bürgermeisterin in - Elmshorn.