Auf Wahlkampftour mit dem FDP-Spitzenkandidaten in Nordrhein-Westfalen. Dort kämpft die Partei um den Wiedereinzug in den Landtag.

Arnsberg. Christian Lindner steht an der Kasse eines Fast-Food-Restaurants und bestellt Hamburger, Pommes und Cola. Kurze Pause im Wahlkampf, muss mal sein. Doch zwei Kameramänner richten ihre Geräte weiter auf ihn, um ja keine exklusiven Bilder zu verpassen. "Nicht beim Essen, bitte", sagt Lindner. "Sie brauchen hier eine Drehgenehmigung." Eine Mitarbeiterin wird unruhig und ruft hinter der Theke: "Sie dürfen hier nicht filmen."

Lindner nimmt sein Tablett und setzt sich an einen Tisch mit Journalisten. Dann sind die Kameras aus. Aber die Fragen hören nicht auf. Lindner sagt zwischen den Bissen, dass es "fundamentale Unterschiede" gebe zwischen FDP und Grünen, und er macht den Eindruck, dass eine Ampelkoalition in Nordrhein-Westfalen kaum möglich sei. Lindner sagt nicht, dass es nicht geht. Er wirkt eindeutig, legt sich aber nicht fest. Nach zehn Minuten geht es weiter. Lindner steigt in den Reisebus mit undurchsichtigen Fenstern, der ihn zum nächsten Termin bringt.

Der FDP-Spitzenkandidat steht unter Dauerbeobachtung, und abgesehen vom Moment in der Burger-Braterei lässt er bereitwillig jede Bewegung, jede Äußerung einfangen. Am Morgen besucht der 33-Jährige eine Kindertagesstätte in Stadtlohn. Er hockt zwischen Kindern und spricht über Spielzeug. Sie zeigen ihm Rechenübungen mit Holzklötzen. Ohne Kinder geht es nicht in diesem Wahlkampf. Die Spitzenkandidaten von SPD und CDU lassen sich sogar mit Knirpsen plakatieren.

Auf dem Weg zum Bus interviewt ihn ein Privatsender auf der Straße. Lindner betreibt permanent Understatement: "Ich weiß, dass es nicht um mich geht, sondern um eine Richtungsentscheidung in diesem Land und um die liberale Partei." Freilich denken alle daran, dass es auch eine Frage seiner persönlichen Zukunft ist.

Im Dezember hatte er sein Amt als Generalsekretär von Parteichef Philipp Rösler niedergelegt. Wenige Monate später gilt er als Hoffnungsträger. Lindner setzt vor allem auf Haushaltskonsolidierung: "Das Wichtigste ist eine schwarze Null." Erst müsse man den Staat "aus dem Griff der Finanzmärkte befreien", dann könne man "über zusätzliche Entlastungen nachdenken". So klingt die Lindner-FDP. Seit drei Wochen vergeht kaum ein Tag ohne Lindner-Interview. Die Aufmerksamkeit dürfte nicht erlahmen bis zur Landtagswahl am 13. Mai. Denn die FDP hat in diesem Wahlkampf eine an Dramatik kaum zu überbietende Handlung: Es geht ums Überleben. In Umfragen liegt die FDP bei vier Prozent. Es fehlt ein Prozentpunkt, um wieder in den Landtag zu gelangen.

+++ 99,8 Prozent - NRW-Liberale klammern sich an Christian Lindner +++

Lindners Route führt weiter zu einem Steinkohlekraftwerk in Lünen. Er steigt mit dem Geschäftsführer eines Stadtwerke-Konsortiums in einen Bus, der in ruckeliger Fahrt den hohen Schlot umkreist. Es gilt als eines der modernsten Kraftwerke mit höherem Nutzungsgrad und geringerer Belastung als ältere Modelle. Dennoch haben Richter den Betriebsstart vorläufig gestoppt wegen Unklarheiten bei der Umweltbelastung. Der Geschäftsführer beschwert sich über klagefreudige Naturschützer und schwierige Investitionen. Für Lindner ein willkommener Anlass, den Hype um die erneuerbaren Energien zu dämpfen.

Einige der hiesigen Freidemokraten sind zum Kraftwerk gekommen. Roland Giller spricht von "Aufbruchsstimmung" an der Basis. Die Leute seien "plötzlich interessiert an der FDP"; Lindner werde "als Leitfigur" gesehen. "Ich sage immer, wir machen hier in NRW die neue FDP", sagt Giller. Er versteht dies auch als Abgrenzung zur FDP der schwarz-gelben Bundesregierung.

Nach dem Fast-Food-Zwischenstopp in Hamm wird Lindner beim Lebensmittelgroßhändler Rullko empfangen. Eine Frau in rotem, engen Kleid eilt Lindner entgegen. Marie-Christine Ostermann ist hier die Chefin und zugleich Vorsitzende des Bundesverbandes Junge Unternehmer. Sie sagt, sie sei "FDP-nah" und sorgt sich um die Verschuldung: "Wir wollen nicht das Griechenland am Rhein werden." Lindner bleibt lange da. Er lässt sich das Lager zeigen und diskutiert mit Unternehmern.

Die Älteren beklagen steigende Energiepreise und dass der französische Atomstrom billiger sei als deutsche Energie. Lindner verteidigt die Energiewende und sagt zum kritisierten Atomausstieg: "Es ist eine Schlacht der Vergangenheit." Die Entscheidung sei "nicht korrigierbar". Lindner versucht einen gemeinsamen Nenner zu finden: Energie müsse bezahlbar und verlässlich bleiben. Seine letzte Station an diesem Tag ist ein Hotel in Arnsberg. Es ist eine Region, in der Friedrich Merz und dessen Denken zu Hause sind. Vor knapp 200 Gästen hält Lindner eine halbstündige Rede. Er verzichtet auf Mikrofon und Redepult und stellt sich vors Publikum. Er verlangt Fairness für Gymnasien, lehnt eine Beschränkung der Ladenöffnungszeiten ab, beklagt den "Wettbewerb der sozialen Rhetorik" und wirft den Grünen vor, sie wollten die Bürger mit Bevormundungspolitik zum Glück zwingen. Zum Abschluss betont er die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte. Er sagt nicht, dass und wo er sparen will, sondern dass der Staat "schlanker" werden soll.

Lindner sieht müde aus, aber er läuft auf Betriebstemperatur. Er ist schlagfertig, und als er an seine Grenzen kommt, dann sagt er das auch. Beim Benzinpreisanstieg etwa bleibt ihm nur, "Preistransparenz" anzumahnen.

Lindner versucht die FDP-Anhänger zu mobilisieren, aber an diesem Abend gelingt ihm mehr. Auch zwei junge Christdemokraten sind gekommen. Die Brüder sind vom CDU-Spitzenkandidaten Norbert Röttgen enttäuscht. Sie halten wenig von Rösler, aber Lindners "klare Kante" habe sie überzeugt. Die beiden Bauingenieure betrachten die Liberalen auch als "Korrektiv" für die CDU. Auf die Frage, ob sie dieses Mal FDP wählen, antworten sie: "Ja."