Landgericht spricht Vergewaltiger Hans-Peter W. 73 000 Euro Schmerzensgeld zu

Hamburg. Erstmals hat ein deutsches Gericht ehemaligen Sicherungsverwahrten Schmerzensgeld zugesprochen. Das Land Baden-Württemberg muss vier verurteilten Schwerverbrechern, darunter auch dem Hamburger Sexualstraftäter Hans-Peter W., insgesamt 240 000 Euro Entschädigung wegen zu langer Unterbringung im Gefängnis zahlen. Das hat das Landgericht Karlsruhe entschieden.

Hans-Peter W. war im Sommer 2010 aus der Justizvollzugsanstalt Freiburg entlassen worden. 1981 hatte ihn ein Gericht wegen Vergewaltigung zweier Frauen zu knapp sieben Jahren Haft verurteilt. Anschließend kam er, wie von den Richtern angeordnet, zehn Jahre in Sicherungsverwahrung, die nachträglich jedoch immer wieder verlängert wurde - nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist dies nicht zulässig.

Seit Mitte Januar lebt Hans-Peter W. mit zwei weiteren entlassenen Sicherungsverwahrten in einem Haus in Jenfeld. Laut Gerichtsurteil soll er nun 73 000 Euro Schmerzensgeld erhalten.

"Ich bin mit dem Urteil zufrieden", sagte Rechtsanwalt Ernst Medecke, der die Klage von Hans-Peter W. vertreten hatte, gestern dem Abendblatt. Das Gericht sei seiner Argumentation, die auf der Menschenrechtskonvention beruht, gefolgt. "Das Urteil wird bundesweit Signalcharakter haben."

Baden-Württemberg kündigte an, in Berufung zu gehen. Medecke sagte, sollte das Land bis zum Bundesgerichtshof ziehen, könnte sich das Verfahren noch zwei Jahre hinziehen. Er habe aber keinen Zweifel, dass das Urteil des Landgerichts Bestand haben werde. Ursprünglich hatte Ernst Medecke für seinen Mandanten eine Haftentschädigung von 154 910 Euro gefordert, also 35 Euro pro Tag. Hans-Peter W. habe ohne Rechtsgrundlage rund zwölf Jahre im Gefängnis gesessen. Entschieden wurde nun, dass er 500 Euro Schmerzensgeld pro Monat erhält.

Nach Informationen des Abendblatts planen auch die anderen beiden Hamburger Ex-Sicherungsverwahrten, auf Entschädigung zu klagen. Ein Antrag auf Prozesskostenhilfe soll schon gestellt worden sein. Dabei handelt es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um den Sexualstraftäter Jens B., der seit knapp drei Monaten mit Hans-Peter W. und dem verurteilten Schwerverbrecher Karsten D. in dem Jenfelder Haus wohnt. "Mein Mandant Karsten D. möchte ebenfalls eine Entschädigung haben, weil er ein Jahr zu lange im Gefängnis sitzen musste", sagte Medecke. Sollte die Justizbehörde dieser Forderung nicht nachkommen, wird der Anwalt beim Landgericht Klage einreichen. "Wir fordern eine Haftentschädigung von 5500 bis 6000 Euro."

Die Hamburger Justizbehörde reagierte gestern abwartend. "Wir prüfen die Entscheidung aus Karlsruhe und sehen uns die Gründe genau an", sagte Sprecherin Pia Böert. Auch die Behörden in Niedersachsen und Schleswig-Holstein gaben sich gelassen. Noch sei das Urteil nicht rechtskräftig, und die Gerichte entschieden unabhängig, hieß es. Allerdings könnten in Niedersachsen "bis zu 30 Sicherungsverwahrte, von denen bereits zehn entlassen sind, betroffen sein", sagte Jörn Westermann, Sprecher des Justizministeriums in Hannover. In Schleswig-Holstein machen derzeit zwei entlassene Sicherungsverwahrte Entschädigungsansprüche gerichtlich geltend. Drei weitere Betroffene könnten theoretisch ebenfalls klagen.

Der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) warnte, es dürfe jetzt nicht der Eindruck entstehen, dass man rauben, morden und vergewaltigen könne und am Ende noch eine Haftentschädigung erhalte. "Das wäre fatal."