Entschädigung für Sicherungsverwahrte mag logisch sein - ärgerlich ist sie doch

Gerade bei Gerichtsentscheidungen, die auf den ersten Blick ärgerlich und unverständlich erscheinen, hilft es bisweilen, sie mit gebotener Einfachheit und Nüchternheit zu betrachten. Ein Mensch hat zu Unrecht hinter Schloss und Riegel gesessen, und deswegen steht ihm für die Dauer der unrechtmäßig erlittenen Haftzeit eine Entschädigung zu. Das entspricht unserem Rechtsverständnis im Rechtsstaat. Allenfalls über die Höhe der Entschädigung ließe sich noch vor Gericht streiten.

Nicht anders verhält es sich bei den vier ehemaligen Sicherungsverwahrten aus Baden-Württemberg, denen das Landgericht Karlsruhe eine Entschädigung für die Jahre zugesprochen hat, die sie rechtswidrig im Gefängnis verbracht haben. In einem Fall handelt es sich immerhin um zwölf Lebensjahre hinter Gittern.

Ja, wenn der Mann zu Unrecht verurteilt worden wäre, weil sich seine Unschuld im Nachhinein herausstellt, dann wäre eine Entschädigung angemessen. So könnte der Einwand lauten. Und die Straftäter, bei denen wegen ihrer fortdauernden Gefährlichkeit Sicherungsverwahrung im Anschluss an die Verbüßung der Strafe angeordnet wird, haben schließlich schwerste Verbrechen begangen: Mord, Vergewaltigung.

Rechtlich macht es allerdings keinen Unterschied, aus welchem Grund jemand nicht im Gefängnis sitzen durfte. Dafür ist die individuelle Freiheit und Selbstbestimmung ein zu hohes Gut in einer Demokratie.

Ob es einem passt oder nicht: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die rückwirkende Verlängerung der Sicherungsverwahrung in Deutschland 2009 für menschenrechtswidrig erklärt. Ein Mann war 1986 wegen versuchten Raubmordes zu fünf Jahren Haft und anschließend Sicherungsverwahrung verurteilt worden. Damals dauerte diese Maßnahme höchstens zehn Jahre, er hätte also spätestens 2001 entlassen werden müssen. Weil aber der Bundestag die zeitliche Beschränkung 1998 aufhob, saß der Mann noch 2009 hinter Gittern.

Der einfache Vergleich hilft - auf den ersten Blick: Was würde der Autofahrer sagen, der für ein Jahr seinen Führerschein verliert, wenn er während seiner autofreien Zeit erfährt, dass der Gesetzgeber plötzlich das Strafmaß auch für ihn rückwirkend auf zwei Jahre erhöht hat? Eben.

Der entscheidende Unterschied liegt in der Schwere der Straftat und der durch psychologische Gutachten untermauerten hohen Gefährlichkeit der Sicherungsverwahrten. So zwingend sich der Anspruch auf Entschädigung aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte auch ergibt: Es bleiben erhebliche Zweifel an der Verhältnismäßigkeit der Entscheidung der Straßburger Richter, die nachträgliche Verlängerung der Sicherungsverwahrung zu kippen.

Die Freilassung der rund 100 sogenannten Altfälle, die nun Zug um Zug geschieht, birgt ein enormes Sicherheitsrisiko und sorgt zu Recht für Ängste bei denen, die in der Nachbarschaft der Straftäter leben müssen. Die emotionale Debatte über die Unterbringung der Hamburger Sicherungsverwahrten in Jenfeld belegt das.

Politisch geht es nur noch um Krisenmanagement. Jedes Land muss für seine Fälle einen Weg der Unterbringung der zumeist mittel- und beschäftigungslosen Menschen finden. Ob der SPD-Senat im Hamburger Rathaus mit seiner Entscheidung zur zentralen Unterbringung der ehemaligen Sicherungsverwahrten den richtigen Kurs eingeschlagen hat, lässt sich noch nicht beantworten.

Ein anderer Punkt ist mittlerweile ein erhebliches Ärgernis: Auch dreieinhalb Jahre nach dem Urteil der Straßburger Richter hat der Bundestag noch kein Gesetz zur Neuregelung der Sicherungsverwahrung zustande gebracht. Bei allem Verständnis für sorgfältige Beratung und parteipolitische Austarierung: Das ist ein Armutszeugnis für den Gesetzgeber.