Die Union sucht einen Ausweg aus dem Dilemma ums Betreuungsgeld. Eine Strategie zum Umgang mit der alternden Gesellschaft ist geplant.

Berlin. Es sollte ein Kompromissvorschlag sein, um die Wogen zu glätten. In der aufgewühlten und emotionalen Debatte um die Einführung des Betreuungsgeldes und damit eines der derzeit größten Probleme von Schwarz-Gelb hatte sich Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) mit einer Idee vorgewagt, um die Zweifler in den eigenen Reihen zu besänftigen - doch geholfen hat es nichts. Es hat die Lage eher noch schlimmer gemacht.

"Wir wollen, dass Frauen, die Kinder vor 1992 geboren haben, dafür auch mehr Rentenversicherungszeiten anerkannt bekommen", sagte Kauder gestern. Der erhöhte Rentenanspruch solle zusätzlich zum Betreuungsgeld gelten, wie die "Süddeutsche Zeitung" berichtete. Bisher sind Eltern, deren Kinder vor 1992 geboren wurden, in der Rente schlechter gestellt als Eltern jüngerer Kinder: Für Kinder, die nach dem 1. Januar 1992 geboren sind, gibt es drei "Entgeltpunkte", für ältere einen Punkt. Von den im Arbeitsleben erreichten Punkten hängt die Höhe der Rente ab. Ein Punkt ist derzeit im Westen 27,47 Euro wert, in den neuen Ländern 24,37 Euro. Die monatliche Rente für die Erziehung eines vor 1992 geborenen Kindes würde bei Angleichung an die Regelungen für jüngere Kinder also um etwa fünfzig Euro steigen. Anders als beim Betreuungsgeld käme ein höherer Rentenanspruch auch Eltern zugute, die ihr Kind in eine Krippe geben. Eine solche Regelung würde nach Expertenschätzung bis zu sieben Milliarden Euro zusätzlich kosten. Aufbringen müsste den Betrag wohl der Bund.

Die Frauen-Union, die eine Verbesserung seit Langem fordert, begrüßte Kauders Vorstoß. "Wir wollen die Gerechtigkeitslücke für Mütter in der Rente weiter schließen", sagte die Vorsitzende Maria Böhmer. CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt sagte, seine Partei habe "immer schon eine Besserstellung der Erziehungszeiten in der Rente befürwortet". Dies stehe auch "nicht in Widerspruch zum Betreuungsgeld, sondern beides ist richtig und notwendig".

Doch hier endete die Zustimmung auch schon. Die Bundesregierung reagierte jedenfalls zurückhaltend auf den Vorschlag aus den eigenen Reihen: "Da ist gar nichts entschieden, da ist gar nichts beschlossen. Darüber wird gesprochen", sagte Vize-Regierungssprecher Georg Streiter. Diese Diskussion und das Betreuungsgeld seien "zwei völlig eigenständige, unabhängige Dinge". Familien- und Arbeitsministerium zeigten sich offen, betonten aber, die Finanzierung müsse gesichert sein. FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle sagte dagegen, eine Erhöhung der Rentenansprüche sei nicht vereinbart. Im Koalitionsvertrag sei zwar die stufenweise Einführung und Auszahlung des Betreuungsgelds festgehalten - aber "keine Eingriffe in die Rentenstruktur", betonte er.

+++ Gabriel hofft auf Rot-Grün – Betreuungsgeld-Kampagne +++

Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) lehnt die Erhöhung von Rentenleistungen für Eltern zusätzlich zum Betreuungsgeld ab. Die stellvertretende DGB-Vorsitzende Ingrid Sehrbrock sagte dem Abendblatt, eine solche Aufstockung könne "bestenfalls die Alternative zum Betreuungsgeld sein". Die Kombination von beidem sei sachlich falsch und schon gar nicht zu finanzieren, betonte Sehrbrock. "Der aktuell wichtigste Beitrag zur eigenständigen Existenzsicherung von Frauen ist aus unserer Sicht der bedarfsgerechte Ausbau qualitativ hochwertiger Kinderbetreuung", fügte sie hinzu. "Dazu benötigen wir alle zur Verfügung stehenden Mittel." Die Koalitionsspitzen hatten im November beschlossen, Eltern, die ihre ein- und zweijährigen Kinder in Eigenregie betreuen, ab 2013 ein monatliches Betreuungsgeld zu zahlen - erst 100 Euro, dann 150 Euro.

Die SPD bekräftigte ihren Widerstand gegen das Betreuungsgeld. Dies werde auch in den Wahlkämpfen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen eine Rolle spielen, sagte SPD-Chef Sigmar Gabriel. "Wir werden prüfen, ob wir klagen können." Die Sozialdemokraten starteten gestern zudem eine Kampagne gegen die Zahlung. Dazu Postkarten mit Kindern in den Mund gelegten Aussagen wie "Mami ist die Beste! Aber ich kann ja nicht immer auf sie aufpassen." und "Papi ist der Beste! Aber ich muss auch meine Kumpels treffen." Die SPD fordert, die zwei Milliarden Euro, die das Betreuungsgeld kosten soll, in den Kita-Ausbau zu stecken. 166 000 Plätze könnten so geschaffen werden

Um eine weitere Baustelle in Sachen Familienpolitik kümmert sich die Bundesregierung morgen. Das Kabinett wird hier eine Strategie verabschieden, mit der Deutschland den demografischen Wandel bewältigen soll. Vor allem die Vereinbarkeit von Familie und Beruf soll dabei gefördert werden: "Das größte und am schnellsten zu aktivierende Fachkräftepotenzial besteht insbesondere bei den qualifizierten Frauen", heißt es in der Strategie. Das Angebot der staatlichen und öffentlich geförderten Kinderbetreuung soll weiter ausgebaut werden. Ungewollt kinderlose Paare sollen mehr Unterstützung erhalten, um den Wunsch nach einem Kind zu erfüllen. Auch Adoptionsbedingungen sollen verbessert werden. Die Bundesregierung hat sich außerdem vorgenommen zu prüfen, wie altersgerechte Wohnformen, ambulante Wohngruppen oder die Betreuung und Pflege im häuslichen Umfeld besser gefördert werden können. Die Pflegeversicherung soll neu ausgerichtet, der Begriff der Pflegebedürftigkeit neu entwickelt werden, um der wachsenden Zahl von Demenzkranken gerecht zu werden. Für sie sind umfassendere und bessere Leistungen geplant.

Bis zum Jahr 2060 verliert Deutschland voraussichtlich bis zu 17 Millionen Einwohner, also ein Fünftel der Bevölkerung. Die neuen Länder werden besonders stark betroffen sein. Dort leben in 50 Jahren den Berechnungen zufolge ein Drittel weniger Menschen als heute.