Die FDP versucht, bei der Praxisgebühr zu punkten. Nord-Landeschef Garg will Zahnarzt-Patienten mit einem neuen Rechnungsmodell stärken.

Berlin. Es ist schon viele Jahre her, da war die FDP mit einem unschönen Etikett behaftet. "Zahnärzte-Partei" wurde geschimpft. Es waren die Liberalen selbst, die in den 80er-Jahren in einem Dentisten-Fachblatt für sich geworben hatten. Auch wenn das lange zurückliegt, hat die Partei bis heute mit dem Vorwurf der Klientelpolitik zu kämpfen. Der "mitfühlende Liberalismus", der nach dem Rücktritt von Ex-Parteichef Guido Westerwelle durch den jetzigen Amtsinhaber Philipp Rösler vertreten werden sollte, hat es bislang nicht vermocht, die alten Klischees abzuschütteln. Schleswig-Holsteins Gesundheitsminister Heiner Garg, Chef der Landes-FDP, geht jetzt mit einem Vorschlag in die Offensive, der die Rolle der Patienten stärken soll. Zahnärzte dürften wenig begeistert sein.

Nachdem die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) Anfang der Woche gefordert hatte, künftig die privaten Rechnungen der Zahnärzte an die Patienten verstärkt kontrollieren zu wollen, wirbt der Minister jetzt für ein ganz neues Abrechnungsverfahren, das grundsätzlich über den Patienten laufen soll. Garg plädiert für ein "konsequentes Kostenerstattungsprinzip", wie er dem Abendblatt sagte. "Die gesetzlichen Krankenkassen sind als eiserne Verfechter des Sachleistungsprinzips bisher vor allem als Hüter der Intransparenz aufgefallen. Mit dem neuen Vorschlag machen sie nur einen halbherzigen Schritt", kritisierte er.

Sein Vorschlag: "Der Patient erhält die Rechnung vom Arzt und reicht sie bei der Versicherung ein. Die hat alle Möglichkeiten, die Rechnung zu prüfen und erstattet ihren Anteil", so Garg. "Erst wenn dieser Betrag auf dem Konto des Patienten ist, überweist er den Gesamtbetrag an den Zahnarzt."

Ein transparenteres Verfahren könne er sich nicht vorstellen, betonte Garg. "Ich appelliere an alle Akteure, dieses Verfahren wenigstens für fünf Jahre auszuprobieren." Der Minister sieht dabei vor allem zwei Vorteile in seinem Plan. Zum einen ließe sich prüfen, "ob die knappen finanziellen Ressourcen optimal eingesetzt werden", zum anderen könne man das Kostenbewusstsein der Patienten schärfen.

Wenn der wahlkämpfende Schleswig-Holsteiner sein Vorhaben umsetzen will, muss er nicht nur die eigenen Parteifreunde überzeugen, sondern auch den Koalitionspartner. Im Moment gibt es im Gesundheitsbereich einen Zankapfel, den Union und FDP in Berlin nicht aus dem Weg zu räumen vermögen - und das, obwohl es sich um ein Luxusproblem handelt: So konnten die Sozialkassen 2011 ein Plus von 13,8 Milliarden Euro verbuchen. Zugleich stieg die Belastung durch Abgaben und Steuern so stark wie nie zuvor. 9943 Euro zahlte ein Durchschnittsverdiener 2011 an Staat und Sozialkassen, 5,9 Prozent mehr als 2010. Und die gesetzliche Krankenversicherung hat ein Finanzpolster von fast 20 Milliarden Euro.

Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) bekräftigte deshalb die Forderung der Liberalen nach einer Abschaffung der Praxisgebühr: "Den Wegfall der Praxisgebühr spüren die Bürger mehr als eine kleine Senkung der Sozialversicherungsbeiträge", sagte Bahr der "Welt". Durch die Alterung der Bevölkerung und den medizinischen Fortschritt würden die Kosten in den nächsten Jahren zudem eher steigen. Auch deswegen wäre es nicht sinnvoll, den Beitragssatz jetzt zu senken. Die Union hält eisern dagegen. Fraktionsvize Michael Fuchs (CDU) sprach sich dafür aus, die Beiträge zur Kranken- und Rentenversicherung Anfang 2013 zu senken. "Das Geld, das jetzt zu viel ist, gehört den Arbeitnehmern und Arbeitgebern, die es gezahlt haben", sagte er. Das könnte auch der Konjunktur einen weiteren positiven Impuls geben.

Und Bundeskanzlerin Angela Merkel schmetterte die FDP-Pläne erneut ab: Die Kanzlerin habe derzeit nicht die Absicht, die Praxisgebühr abzuschaffen, sagte Vize-Regierungssprecher Georg Streiter. Der Kanzlerin komme es darauf an, dass das Geld der Beitragszahler beisammengehalten werde. Auch müssten Belastungen der Versicherten durch Zusatzbeiträge in Zukunft nach Möglichkeit verhindert werden. Merkel sei es wichtig, dass die Gesamtlast aus Sozialversicherungsbeiträgen unter 40 Prozent bleibe. 2013 würden die Beitragssätze vermutlich weiter sinken.

Dass die Partner der einstigen Wunschkoalition hier über Kreuz liegen, ist nicht nur Ausdruck unterschiedlicher Auffassungen in der Sache, sondern auch eines wachsenden Misstrauens. Zuletzt hatte es Ende Februar nach einem Bruch ausgesehen, als die FDP der Kanzlerin bei der Suche nach einem neuen Bundespräsidenten mit dem Vorschlag Joachim Gauck die Pistole auf die Brust gesetzt hatte.

Und nicht bloß hinter vorgehaltener Hand wird schlecht über den Koalitionspartner gesprochen: "Über die Union wundere ich mich nur noch. Vor allem beim Thema Praxisgebühr scheint es ihr überhaupt nicht darum zu gehen, sinnvoll zu diskutieren, sondern nur noch darum, einem FDP-Gesundheitsminister Steine in den Weg zu legen", vermutet etwa Landesminister Garg. CDU und CSU würden den Vorschlag nach einer Abschaffung der Praxisgebühr nur torpedieren, weil er von der FDP kam. "So funktioniert partnerschaftliche Zusammenarbeit aber nicht. Es wäre hilfreich, wenn die Kollegen auch mal ergebnisorientiert arbeiten würden, statt weiter parteipolitische Profilierung gegen den Koalitionspartner zu betreiben" schimpfte Garg.

Für die FDP geht es weiter ums Überleben: Im ARD-Deutschlandtrend verharrt sie bei drei Prozent. Themen wie Praxisgebühr und Pendlerpauschale haben noch nicht gezündet. In der Union liebäugelt man längst mit einer Großen Koalition nach der Wahl 2013. Die Liberalen dürften es weiter schwer haben. Ob mit oder ohne Zahnärzte.