Die Euro-Finanzminister rechnen den Rettungsschirm künstlich groß - in Dollar. Schäuble hatte die Rechnung ins Spiel gebracht.

Kopenhagen. Die "Sprache der Finanzmärkte" müsse man sprechen, sagte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), um zu verstehen, was die Märkte wollten. Nach dem Treffen der Euro-Finanzminister in Kopenhagen wirkt es, als spreche Schäuble diese Sprache sehr gut. So gut, um die Märkte und einige seiner Amtskollegen glauben zu machen, er habe einer viel größeren Aufstockung der europäischen Notmittel zugestimmt als von ihm geplant. Schäuble hat sein Ziel erreicht, die Rettungsschirme in den Augen der Finanzmärkte so groß wie möglich aussehen zu lassen und sie gleichzeitig mit so wenig Geld wie möglich auszustatten. Zwar verkündete die Euro-Gruppe, Pleitekandidaten mit bis zu 800 Milliarden Euro aufzufangen. Aber an "frischem Geld" wird der dauerhafte Fonds ESM nur 500 Milliarden Euro bereitstellen.

+++Rettet die Billion!+++

Die viel größere Summe kommt rechnerisch zustande, auch weil die schon für Griechenland, Portugal und Irland verplanten 200 Milliarden Euro - anders als einmal vereinbart - von der Höchstausleihsumme nicht mehr abgezogen werden. Damit war man bei 700 Milliarden. Das ist in deutschen Augen ein gutes Ergebnis, liegt es doch auf der Linie der Bundesregierung, auch wenn diese eine Aufstockung noch bis vor wenigen Wochen als "unnötig" bezeichnet und erst als letztes Euro-Land einer Ausweitung zugestimmt hatte.

Aber auch für diejenigen an den Finanzmärkten, die auf schiere Größe setzen, hatten die Finanzminister eine Interpretation des Ergebnisses parat. Sie argumentieren, die "Brandmauer" um den europäischen Währungsraum solle möglichst mächtig sein, damit sich die Staatsschuldenkrise nicht von Griechenland, Portugal und Irland etwa auf Italien oder Spanien ausbreite. Zu den Verfechtern dieser Linie gehören Frankreichs Finanzminister François Baroin, der einen Schirm mit der Abschreckungswirkung einer "Atombombe" gefordert hatte, und sein irischer Kollege Michael Noonan: "Alles, was uns auf eine Billion Dollar bringt, sieht wie eine ernsthafte Brandmauer aus", sagt dieser.

Auch der Internationale Währungsfonds und die Partner in den USA forderten die Schallgrenze der Billion. Für sie alle könnten 700 Milliarden Euro mickrig aussehen. Deswegen entschlossen sich die Finanzminister auch noch zu einem buchhalterischen Trick: Ganz offiziell zählt nun auch Geld zum europäischen Rettungsschirm, das schon längst auf dem Konto der Empfänger gelandet und auch schon wieder ausgegeben ist. Das sind weitere 53 Milliarden Euro aus dem ersten Griechenland-Programm und 49 Milliarden Euro aus einem Rettungstopf, der aus dem EU-Haushalt gespeist wurde, in dem fast nichts mehr liegt. Damit war man dann bei 800 Milliarden Euro.

Schäuble selbst hatte diese Rechnung am Abend zuvor bei einem Vortrag vor Studenten in Kopenhagen ins Spiel gebracht. Ihr Charme liegt in der Umrechnung von Euro in Dollar. Denn: "Diese 800 Milliarden machen eine Billion US-Dollar aus", sagte Österreichs Finanzministerin Maria Fekter, die sich als Erste aus der Sitzung stahl, um den wartenden Journalisten von den Ergebnissen zu berichten - ohne Auftrag ihrer Kollegen. Damit verstieß Fekter allerdings gegen den Comment auf der europäischen Bühne. Es ist gute Gepflogenheit, dass der Sitzungsleiter das Recht hat, ein Ergebnis zu verkünden - in diesem Fall also Jean-Claude Juncker, der Chef der Euro-Gruppe. Juncker habe sich, sagte ein Diplomat, sehr über Fekter geärgert.

Die Pressekonferenz wurde abgesagt. Verteilt wurde nur die Abschlusserklärung. In ihr listen die Minister noch einmal ganz genau auf, wie ihre Billionen-Rechnung zustande kommt: "Alles zusammengerechnet, mobilisiert die Euro-Zone eine Brandmauer von etwa 800 Milliarden Euro, mehr als eine Billion Dollar." So soll der künftige permanente Rettungsfonds ESM zwar das "Hauptinstrument" der europäischen Hilfsbereitschaft sein, wie es in der Abschlusserklärung heißt. Er wird aber nicht das einzige Instrument bleiben. Im Juli soll der ESM in Kraft treten und zwei Jahre später über seine volle Schlagkraft von 500 Milliarden Euro verfügen. Geld aus diesem Topf sollen nur Länder bekommen, die auch den Fiskalpakt ratifiziert und somit eine Schuldenbremse beschlossen haben.

Nebenbei aber und für eine Übergangszeit, in der der ESM noch nicht seine volle Kapitalausstattung erreicht hat, soll der bisherige Rettungsmechanismus EFSF weiterlaufen. Auch er kann bis Mitte 2013 nötigenfalls "neue (Hilfs-)Programme auflegen", heißt es in der Erklärung der Finanzminister. Die EFSF hat derzeit 240 Milliarden Euro noch nicht verplantes Geld übrig. Wird dieses Geld nicht gebraucht, soll es einkassiert werden, sobald der ESM voll ausgestattet ist - so weit der Beschluss vom Freitag. Dass eine Verlängerung der Laufzeit allerdings eine leichte Übung ist, hat der Tag in Kopenhagen gezeigt: Sollte es von einer ausreichend großen Zahl von Ländern als nötig empfunden werden, könnte über eine erneute Verlängerung der EFSF passieren, was Schäuble diesmal vermeiden konnte: Dass Europas Brandmauer nah an die Billion herankommt - dann in Euro statt Dollar.

Auszuschließen ist das nicht. In die Zuversicht der Minister mischte sich am Freitag neue Beunruhigung. Griechenlands Premierminister Lukas Papademos spekulierte öffentlich darüber, ob das zweite, vor wenigen Wochen beschlossene 130-Milliarden-Euro-Rettungspaket für sein klammes Land wirklich ausreiche. Griechenland werde sich anstrengen, um sich danach wieder am Kapitalmarkt Geld besorgen zu können, sagte Papademos. Das Aber folgte auf dem Fuß. Er könne nicht ausschließen, dass das nicht gelinge - und dass aus Europa "weitere finanzielle Unterstützung notwendig sein wird".