Die FDP warnt nach der Saarland-Wahl vor Panik. Die Piraten haben ganz andere Sorgen: Sie müssen sich an ihre neue Größe gewöhnen.

Berlin. Wenn man nach einem Wahltag im Saarland feststellen muss, dass kaum jemand mehr für die eigene Partei gestimmt hat, wird man grundsätzlich: Ja, das Amt mache ihm noch Freude, beteuerte FDP-Chef Philipp Rösler gestern nach der Präsidiumssitzung in Berlin. Er sei mit sich im Reinen. Ein bisschen zu regungslos, eine Spur zu versteinert sah sein Gesicht aus, als er das sagte. Aber Rösler ließ keinen Zweifel daran, weitermachen zu wollen wie bisher. Seine Botschaft: In der Koalition auf Bundesebene mit der Union sollte Ruhe bewahrt werden. Die FDP müsse ihre Politik sachorientiert durchsetzen, "nicht hektisch oder gar panisch" werden.

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Röslers Sätzen war abzulesen, dass die Liberalen Grund zur Panik haben. Sie blicken auf 1,2 Prozent der Stimmen im Saarland - damit gehört man üblicherweise zu den Sonstigen. Und aus der Erfahrung der Wahlausgänge von Berlin (1,8 Prozent) und Mecklenburg-Vorpommern (2,8 Prozent) dienen derartige Wahlkatastrophen nicht als Stabilisatoren einer Koalition, die in weiten Teilen unglücklich und ungehalten miteinander regiert.

Die Bundeskanzlerin verbat sich gestern allerdings, auch nur im Ansatz über den Koalitionspartner despektierlich zu sprechen. "Wir arbeiten in Berlin gut zusammen", sagte Angela Merkel bei einem gemeinsamen Auftritt mit der saarländischen Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer in Berlin. Im Bund ist die Regierungswelt der FDP nur noch auf dem Papier in Ordnung. Die 14,6 Prozent aus 2009 scheinen wie aus einer anderen Zeitrechnung.

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Meinungsforscher wie Klaus Schöppner, Geschäftsführer von TNS Emnid, sehen die vier Prozent in den Umfragen in Nordrhein-Westfalen wenigstens als einen Hoffnungsschimmer. Sollten die Liberalen sich allerdings grundsätzlich bei weniger als zwei Prozent einpendeln, sagte Schöppner dem Abendblatt, "dann müssten wir darüber nachdenken, dass wir sie unter den sonstigen Parteien subsumieren".

Die Piraten galten vor einem halben Jahr noch als jene "Sonstige". Aber jetzt sind ihretwegen die Vertreter der etablierten Parteien hochnervös. Nach dem Saarland zweifelt kaum noch jemand an dem Einzug der Piraten in die Landtage von Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen. Sollte es so kommen, muss man sie wohl als feste Größe für die Bundestagswahl 2013 einplanen. Dann könnte es ein Sechs-Parteien-Parlament geben, sofern die FDP überhaupt wieder einzieht. Eine Konstellation, die weder Rot-Grün noch Schwarz-Gelb ein alleiniges Regieren ermöglichen würde. Die Piraten spielen die Spielverderber. Im Moment ist das ihre Rolle, die sie genießen - und die sie auch noch überrascht: Bernd Schlömer musste gestern früher Feierabend machen. Er setzte sich auf seinen Motorroller und fuhr die sechs Kilometer vom Verteidigungsministerium in Berlin-Mitte bis zur Geschäftsstelle der Piratenpartei in der Pflugstraße. Im Ministerium hat Schlömer eine Stelle als Referent, Vollzeit, bei der Piratenpartei ist er Vize-Chef. Um kurz nach halb vier nachmittags begann die Pressekonferenz. Eilig einberufen, weil die Parteichefs nicht mehr hinterherkamen mit den Anfragen der Journalisten.

Schlömers Nachmittag verrät viel über seine Partei, die nach dem Erfolg im Saarland irgendwo steht zwischen Teilzeit-Politik, organisiertem Anarchismus und einer ernst zu nehmenden politischen Alternative. Bei der Wahl in Berlin im September zogen sie mit 8,9 Prozent in das erste Landesparlament ein. Berlin, das war die hippe Metropole, mit ihren jungen und linken Wählern, die so viel und gerne im Internet surfen. So konnte man das abtun, damals, als etablierte Partei. Das Saarland aber ist vor allem eines: ein Bundesland mit vielen Kleinstädten und Dörfern, ein kleines Nest am Rand der Republik. Und die Piraten holten hier 7,4 Prozent der Stimmen, mehr als die Grünen, viel mehr als die FDP. Und das, obwohl der Landesverband Ende Januar gerade einmal 200 Mitglieder und kein Wahlprogramm hatte. Das gab es erst vor zwei Wochen. Viele Piraten nennen sich nun die "stärkste liberale Kraft in Deutschland".

Wer gemein ist, kann auch mutmaßen: Vielleicht hätten die Piraten auch ganz ohne Wahlprogramm im Saarland einen Triumph errungen. 85 Prozent wählen die Partei wegen der Unzufriedenheit mit den anderen Parteien - nur sieben Prozent wegen der Inhalte. Schlömer sagt, die Piraten bedienten Themen, die andere nicht so stark besetzen: Urheberrecht, Transparenz und Datenschutz. Zudem sei die parlamentarische Demokratie in Deutschland zum Einheitsbrei verkommen. "Das nutzen wir", sagt der Partei-Vize. Und deshalb profitierten die Piraten auch "von einigen Protestwählern", das sei aber nicht verwerflich.

Spätestens seit dem Parteitag in Offenbach im Dezember geht es nicht mehr nur um digitale Themen. Nach heftiger Debatte nahmen die Mitglieder das bedingungslose Grundeinkommen ins Programm auf. Deutschland könne sich eine Vollbeschäftigung nicht mehr leisten, begründeten die Piraten die Entscheidung. Es sind schon große Worte einer kleinen Partei. Bernd Schlömer sagt, seine Partei müsse nun "bescheiden bleiben". Die Piraten rechnen fest mit einem Einzug in die Landesparlamente in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen. Und dann im Bund? "Natürlich treten wir 2013 an, um potenziell auch in einer Bundesregierung zu arbeiten", sagt Schlömer. "Wir wollen langfristig Politik in Regierungen gestalten und nicht als Protestpartei beschrieben werden." Vielleicht arbeitet Schlömer 2013 ja weiter im Verteidigungsministerium. Aber nicht mehr als Referent.