Ein Spitzenduo soll die Öko-Partei in die Bundestagswahl 2013 führen. Nur wer? Der Streit ist heftig - selbst die Chefin rudert vorerst zurück.

Berlin. Zwei Dinge sind es, die Claudia Roth an diesem Mittag immer wieder zu erklären versucht. Erstens: "Wir haben keine Personaldebatte." Zweitens: "Ich bin grundsätzlich bereit, mich in einem Führungsteam zu engagieren." Mehr nicht. Wirklich nicht. Doch auch wenn die Grünen-Chefin beide Sätze so oder in so ähnlicher Form fast mantraartig wiederholt: So richtig glauben mag ihr das keiner. Wie auch? Immerhin war genau sie es, die vor anderthalb Wochen einen exakt gegenteiligen Eindruck ausgelöst hat.

Und so sind die Grünen in Wahrheit mittendrin in einem heftigen Streit, in dem es um Köpfe und Kandidaten geht. Die Frage ist, wer die Partei in die Bundestagswahl 2013 führen soll. "Ja, ich stelle mich zur Wahl, wenn es um die Besetzung eines Spitzenteams für die Grünen geht", hatte Roth in diesem Zusammenhang am 8. März in der "tageszeitung" gesagt. Auf die konkrete Frage, ob dies eine Kandidatur gewesen sei, verweist sie nun jedoch wieder nur auf ihre "grundsätzliche Bereitschaft" - und die werde sie "hier auch nicht zurücknehmen". Es sei nicht um eine Personaldebatte gegangen, sondern darum, "etwas ins Rollen zu bringen".

Dass sie nach ihrem ersten Vorpreschen nun zumindest vorsichtig zurückrudert, ist zum einen dem Ärger geschuldet, die die Parteichefin damit ausgelöst hat. Zwar wurde im Hintergrund immer wieder über die Kandidatenfrage spekuliert - nach außen allerdings wurde erklärt, man wolle frühestens Ende des Jahres entscheiden, mit welchem Gesicht oder mit welchen Gesichtern die Grünen 2013 Wahlkampf machen wollen. Bis eben Roth sich selbst einfach zu Wort meldete und so manches Mitglied damit überrumpelte. Auch gestern soll es bei der Tagung des Parteirats längst nicht so einmütig zugegangen sein, wie Roth im Nachhinein glaubhaft machen will.

Immerhin die Wahlmodalitäten wurden aus dem Kreuzfeuer genommen: Fest steht, dass es ein Führungsduo geben soll, dem mindestens eine Frau angehört. Dieses Duo soll per Urwahl von den rund 59 000 Mitgliedern bestimmt werden. "Nachdem die Verfahrensfragen geklärt sind, wird auch bekannt gegeben, wer sich bewerben kann", sagte Roth. Ein kleiner Parteitag am 28. April in Lübeck solle über eine für die Urwahl nötige Reform der Urabstimmungsordnung entscheiden. Sollte es nicht mehr als zwei Bewerber geben, werde das Spitzenduo lediglich auf dem nächsten Parteitag im November in Hannover bestimmt.

Mit der Duo-Lösung ist sowohl eine Einzelkandidatur von Fraktionschef Jürgen Trittin als auch ein Spitzenteam aus den vier Frontleuten Roth, Co-Parteichef Cem Özdemir, Trittin und Fraktionschefin Renate Künast vom Tisch. Beide Varianten waren in der Vergangenheit diskutiert worden. Mit der Vorgabe, auf jeden Fall mindestens eine Frau aufzustellen, hat sich vor allem Roth durchgesetzt. Sie hatte auf dem Quotenstatut bestanden - einmal weil es ein wesentliches Element und quasi das Herzstück grüner Personalpolitik darstellt. Gleichzeitig ist jedoch auch ein gewisses machttaktisches Kalkül Roths nicht von der Hand zu weisen.

"Die ehrlichste Lösung wäre, es zu akzeptieren, dass Trittin unangefochten die Nummer eins ist." - Krista Sager, Grüne

Denn klar ist: Neben ihr ist zumindest bis jetzt Renate Künast die einzige potenzielle Gegenkandidatin. Nach der Berlin-Wahl im September, in der sie gegen SPD-Bürgermeister Klaus Wowereit verlor, gilt die Fraktionschefin parteiintern jedoch als geschwächt. Eine weitere Niederlage könnte sie sich nur schwer leisten - und positioniert hat sie sich ohnehin noch nicht. Also bleibt vor allem Roth. Kommt keine andere Kandidatin dazu, dürfte ihr der Spitzenposten sicher sein. Doch genau das passt längst nicht allen in der Partei.

"Die ehrlichste Lösung wäre, es zu akzeptieren, dass Jürgen Trittin real inzwischen unangefochten die Nummer eins ist", sagte Krista Sager, forschungspolitische Sprecherin und frühere Fraktionsvorsitzende der Grünen dem Abendblatt. Jedoch sei dies "offenkundig nicht konsensfähig und damit kein hinreichender Beitrag zur Beruhigung". Tatsächlich gilt Trittin für viele Grüne als so gut wie gesetzt - auch wenn er ebenfalls bisher eine öffentliche Erklärung scheut.

+++ Leitartikel: Grüne Eitelkeiten +++

Auch Vize-Fraktionschefin Bärbel Höhn soll laut Teilnehmern des Parteirats deutlich ihren Unmut gezeigt haben. Roth würde die Grünen an der Seite von Trittin möglicherweise nicht ausreichend im Bundestagswahlkampf repräsentieren, so ihr kolportiertes Argument. Das Problem dahinter: Wie Trittin ist auch Roth dem linken Flügel der Partei zuzuordnen. Doch gerade seit den besonders guten Umfragewerten im vergangenen Jahr bewegen sich die Grünen immer wieder auf Realo-Kurs. Genau dieser Flügel, dem auch Künast und Özdemir zuzurechnen sind, dürfte sich bei dem Gespann Roth/Trittin deutlich unterrepräsentiert fühlen. Die Parteichefin weist vorsorglich darauf hin, dass es ja um die Inhalte, nicht um ihren Parteiflügel gehe. Und überhaupt würde diesen Unterschied außerhalb des politischen Berlins ohnehin kaum jemand wahrnehmen.

Es ist also noch weitestgehend offen, wie dieser Streit und die Suche nach der großen Unbekannten in der neuen Machtarithmetik der Grünen ausgehen wird. Jedenfalls für die Hamburger Abgeordnete Krista Sager kommt die Debatte zur Unzeit - immerhin stehen mit dem Saarland, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen gleich drei Landtagswahlen ins Haus. "Die Partei - vor allem in den Ländern - hat ein berechtigtes Interesse daran, das die Personaldebatte schnell geklärt und beendet wird", so Sager.

Davon, dass zwei Frauen monatelang darum kämpfen, wer neben Trittin die Nummer zwei sein dürfe, hält Sager nichts. "Das hat sicher einen großen öffentlichen Unterhaltungswert, aber die Gefahr, dass beide nachher als gerupfte Hühner dastehen, halte ich für groß." Für sie könnte die Vierer-Lösung "die Diskussion und ohne Catchen" beenden - auch wenn die Partei damit "keinen Schönheitspreis" gewinnen könne. "Es wäre angesichts unserer zweifachen Doppelspitze auch eine ehrliche Lösung, denn diese Konstruktion bliebe uns ja im Wahlkampf sowieso erhalten - ob man sie nun für optimal hält oder nicht", so Sager.

Für die Parteispitze war dies offensichtlich nicht optimal. Doch statt wie beabsichtigt die Wogen zu glätten, hat sie nun eine handfeste Personaldebatte auf dem Tisch. Der einzige Trost könnte sein, dass das in allen Parteien völlig normal ist. Die Grünen sind mittlerweile längst da angekommen, wo die anderen schon sind. Möglicherweise ist es an der Zeit, sich daran zu gewöhnen.