Der tunesische Ministerpräsident Jebali wirbt um das Vertrauen Deutschlands - und um Investitionen in seinem noch instabilen Land.

Berlin. Hamadi Jebali lacht lieber, als sich jetzt zu ärgern. Die Frage, ob seine Regierung über die Einführung der Polygamie nachdenke, quittiert er mit maximaler Fröhlichkeit. Darüber denke man weder laut und still nach, sagt er belustigt. Er wundere sich, dass solche Fragen aufgeworfen würden, schließlich gebe es so viele wichtigere Themen. Die meisten Männer in seinem Land seien sich einig, dass man nur ein Herz und nur eine Frau haben sollte.

Es ist der Mittwochvormittag in einem Berliner Luxushotel. Bis zum Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel hat der tunesische Ministerpräsident noch Zeit. In einem Konferenzraum trifft er sich mit einer Gruppe von Journalisten, um ausführlich über sich und sein Land zu sprechen. Es wird ein Termin, bei dem er sich mehr verteidigen muss, als ihm lieb ist.

+++ Tunesien und Agypten wollen ihr Image aufpolieren +++

Tunesien, der Ursprungsort der Arabischen Revolution, steht wie Ägypten noch ganz am Anfang des Demokratisierungsprozesses. Die zehn Millionen Einwohner des nordafrikanischen Staats haben mit wirtschaftlichen Problemen, hoher Arbeitslosigkeit, einer instabilen Sicherheitslage und miserablen Tourismuszahlen zu kämpfen. Doch Tunesien befindet sich auch politisch in einem Wandlungsprozess, dessen Ende völlig offen ist. Der 62-jährige Jebali ist seit der Wahl zur verfassunggebenden Versammlung im Oktober der Ministerpräsident eines Landes, in dem auf der einen Seite die aggressiv auftretenden Salafisten, ultrakonservative Muslime, um mehr Macht buhlen, auf der anderen Seite die säkularen Parteien stehen, die einen islamistischen Staat fürchten. Zwischen ihnen steht Jebali mit seiner Ennahda-Partei. Sie wird zu den gemäßigten Islamisten gezählt, der Regierungschef selbst zum liberalen Flügel seiner Partei.

In Berlin zeigt sich Jebali entsprechend als liberaler Staatslenker. Er braucht das Vertrauen der Kanzlerin und der europäischen Nachbarn, um auch finanzielle Unterstützung für den weiteren Wandel zu erhalten. Er wolle eine Verfassung, die eine Verfassung für alle Tunesier sei und nicht nur für die Regierung, verspricht er. Diese werde die Presse- und Meinungsfreiheit schützen, die Frauenrechte berücksichtigen, aber auch den Salafisten ihr Demonstrationsrecht zusichern. Er stellt klar: Wenn Religion gegen die freiheitlichen Werte stehe, sei sie keine Religion.

Deutschland bezeichnet der tunesische Premier als Lokomotive Europas. Er will, dass Tunesien auch die Lokomotive Nordafrikas wird - ein Stabilitätsanker und Mittlerland, das zwar nicht Wächter der gesamten arabischen Revolution sein könne, aber eine "moralische Verantwortung" für die Region trage. Kaum sind die Worte ausgesprochen, kommt er an einer Einschätzung zur Lage in Syrien nicht mehr vorbei. Eine militärische Intervention lehnt er kategorisch ab. Lieber solle Syrien weiter politisch und wirtschaftlich isoliert werden. Keine Diktatur verschwinde, indem man sie dazu überrede, räumt Jebali aber ein.

Er hat seine ganz persönlichen Erfahrungen mit der Willkürherrschaft seines Landes gemacht. In den Jahrzehnten des Regimes Ben Alis verbrachte der heutige Ministerpräsident 16 Jahre in tunesischen Gefängnissen, davon allein zehn Jahre in Isolationshaft. Ben Alis Regime warf ihm vor, einen Putsch gegen den Machthaber mitgeplant zu haben. Auch von der Zeit in Gefangenschaft berichtet Jebali. Nicht einmal einen Stift und Papier habe er zeitweise bekommen, auch kein Buch, keine Zeitung, keinen Koran. "Ben Ali wollte kein gebildetes Volk. Er wollte das Volk dumm halten", sagt Jebali. Er setze jetzt vor allem auf Berufsbildung. Doch dafür braucht er Geld.

Später, bei der Begegnung mit der Kanzlerin, ist er in diesem Punkt schon einen Schritt weiter. Seine Bitte an Merkel, wieder Geld in konkrete Projekte zu investieren, wird zumindest nicht zurückgewiesen. Es werde eine "sehr lebendige Zusammenarbeit" geben, verspricht die Kanzlerin. Es sollen weitere Hilfen bei der Entwicklung einer Verfassung, der Ausbildung junger Menschen und bei der Vergangenheitsaufarbeitung nach dem Sturz des Regimes fließen. Nach dem bereits erfolgten Schuldenerlass von 60 Millionen Euro will Deutschland außerdem dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) eine Million Euro für den Flüchtlingsschutz in Tunesien an der Grenze mit Libyen spenden. Es scheint, als zeige Jebalis Vertrauensoffensive erste Wirkung.