20 Monate lang hat Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen mit wechselnden Mehrheiten regiert. Am Haushalt 2012 ist das Modell gescheitert.

Düsseldorf. Für Hannelore Kraft war längst alles entschieden, obwohl noch keine förmliche Entscheidung gefallen war. Denn eine Abstimmung über die Auflösung des nordrhein-westfälischen Landtags stand noch aus, als die Ministerpräsidentin gestern um 12.05 Uhr das Rednerpult im Plenarsaal betrat und frühzeitig Abschied nahm. Sie bedankte sich bei ihrem Kabinett, bei den rot-grünen Fraktionen für die "gute Zusammenarbeit und die unglaubliche Disziplin". Selbst der Opposition zollte sie Anerkennung, die der Minderheitsregierung abwechselnd immer wieder in den vergangenen 20 Monaten geholfen hatte. "Wir haben etwas vorangebracht, was anfangs niemand geglaubt hat und was der Demokratie gutgetan hat", resümierte Kraft mit einem Hauch Selbstlob.

Tatsächlich schienen sich am Ende alle überholen zu wollen mit ihren Vorbereitungen auf vorzeitige Neuwahlen im bevölkerungsreichsten Bundesland. Gleich nach der Niederlage bei der ersten Einzelplanabstimmung zum Haushaltsentwurf 2012 kündigte Kraft am Vormittag einen rot-grünen Antrag zur Auflösung des Parlaments an. Die CDU hatte dies ebenfalls schon früh angedeutet, falls die Koalition keine Mehrheit zusammenbekommen sollte.

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Dabei war in den vergangenen Monaten der Eindruck entstanden, dass CDU, FDP und Linke einen frühzeitigen Urnengang vor dem regulären Wahltermin im Jahr 2015 fürchteten. Noch in der vergangenen Woche erweckte FDP-Fraktionschef Gerhard Papke den Anschein, es sei alles offen, denn er lobte, dass die Landesregierung Verhandlungsbereitschaft beim Etat 2012 zeige. Bis zur dritten Lesung Ende März werde sich nichts entscheiden. Die wesentlich kritischere CDU machte immerhin Vorschläge für Einsparungen, einen alternativen Haushaltsentwurf. Und die Fraktion der Linkspartei betonte noch am vergangenen Montag, ein "rot-grün-roter Haushalt ist möglich".

Es deutete also nichts darauf hin, dass es bereits in der zweiten Lesung des Haushaltsentwurfs 2012 zum großen parlamentarischen Bruchtest kommen würde. Man hatte sich auf den "Showdown" in der Plenarsitzung Ende März vorbereitet. Dabei musste Rot-Grün mit einer elementaren Schwäche zurechtkommen: Die Koalition verfügte über 90 Stimmen im 181-köpfigen Parlament, somit fehlte ihr eine Stimme bis zur absoluten Mehrheit. Ministerpräsidentin Kraft konnte dies kaschieren, indem sie Helfer fand: Die Linke enthielt sich bei Krafts Wahl zur Ministerpräsidentin und beim Nachtragshaushalt 2010, stimmte mit bei der Abschaffung der Studiengebühren. Die CDU unterstützte einen Schulkonsens und die FDP den sogenannten Stärkungspakt für Kommunen.

Für die plötzliche Dynamik sorgten rechtliche Bewertungen der Landtagsverwaltung, die erst am Dienstagabend bekannt wurden. Die Fraktionen wurden darauf hingewiesen, dass bereits der gesamte Haushalt als gescheitert anzusehen sei, wenn bei der Abstimmung nur ein Einzelplan keine Mehrheit finde.

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Dies wäre zu verhindern, durch "ein Offenhalten der Entscheidung durch Nichtbeteiligung an der Abstimmung oder Enthaltung", schrieb ein Rechtsexperte. Zumindest FDP und Linke hätten aus ihrer Sicht plausible Gründe gehabt, sich für diese dargelegten Optionen zu entscheiden. Die Liberalen hätten auf ausstehende Einladungen von SPD und Grünen verweisen können. Und die Linksfraktion hätte sich darauf zurückziehen können, dass man erst das Votum des Landesparteirats am Wochenende abwartet.

Solche gedrechselten Argumentationen hatten FDP und Linke zwar bisweilen immer wieder bemüht, doch nun verzichteten sie darauf und zeigten sich entschlossener denn je. Allerdings müssen gerade diese beiden Parteien Umfragen zufolge befürchten, dass sie die Fünf-Prozent-Hürde nicht mehr überwinden. Umso entschlossener begründeten die beiden Fraktionen vor der Abstimmung des ersten Einzelplans 03 (Innen- und Kommunalministerium) ihre Ablehnung. "Wir wollen und können einer unverantwortlichen Schuldenpolitik nicht folgen. Mit Wunschdenken allein lässt sich keine seriöse Politik machen", sagte Papke.

Die Regierung sei nicht bereit, ernsthafte Gespräche über eine Konsolidierung zu führen. Der FDP-Fraktionschef betonte die eigene Glaubwürdigkeit, die bei ihm zuletzt durch Annäherungen an Rot-Grün gelitten hatte. "Ich war noch nie so stolz, Vorsitzender dieser Fraktion zu sein", meinte Papke später. Der Fraktionschef der Linksfraktion, Wolfgang Zimmermann, hingegen beklagte genau das Gegenteil, dass es kein weiteres Geld für ein landesweites Sozialticket gebe. Zimmermann erinnerte an die Regierungsbildung 2010: "Wir haben uns damals enthalten. Wir haben damals dafür gesorgt, dass Sie Ministerpräsidentin werden konnten und dass es eine Minderheitsregierung geben konnte." Doch den erwarteten "Politikwechsel" habe es "nur ein Jahr lang gegeben, ganz zaghaft und vorsichtig - und dann hörte es auf".

Zwischen diesen beiden politischen Bewertungen - zu geringe Sparbemühungen und Kürzungsorgie - lavierte sich die rot-grüne Landesregierung ein ums andere Mal hindurch. Die ersten eineinhalb Jahre hielt Kraft das Schuldenmachen in der Tat für lässlich, um sozial vorsorgende Politik zu machen. Inzwischen setzt sie sich für die Schuldenbremse ein. Es hat auch damit zu tun, dass die CDU ihr öffentlichkeitswirksam den Schmähtitel der "Schuldenkönigin" verliehen hat, den sie nur schwer wieder ablegen kann. CDU-Fraktionschef Karl-Josef Laumann wiederholte diese Aussage, als er mit CDU-Landeschef Norbert Röttgen bereits vor der Parlamentsauflösung am Mittag ein Kampagnen-Plakat vorstellte: "NRW hat die Wahl - Schuldenstaat oder Zukunft unserer Kinder". Die Parteien wirkten also allesamt kämpferisch, bevor die Abstimmung über die Auflösung des Antrags im Landtag um 17.15 Uhr das erwartete Ergebnis brachte. Jetzt muss binnen 60 Tagen gewählt werden.