Lob und Tadel für das Hamburger Schulsystem. Das Ganztagskonzept ist bundesweit führend, Defizite gibt es im Bereich Kompetenzförderung.

Hamburg/Gütersloh. Bei der Zahl der Abiturienten top, in der Kompetenzförderung schlecht: Das Hamburger Schulsystem hat Licht- und Schattenseiten. Viele Abiturienten und ein hoher Anteil von Ganztagsschülern machen die Hamburger Schulen nach einer bundesweiten Studie zu Vorbildern. Auch bei der hohen Durchlässigkeit des Schulsystems erreicht Hamburg Spitzenwerte und gehört zu den vier besten Bundesländern, ergab die Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung und des Instituts für Schulentwicklungsforschung an der TU Dortmund. 47,1 Prozent aller Schüler in der Primar- und Sekundarstufe 1 besuchen in Hamburg eine Ganztagsschule - ein Topwert. Der Bundesdurchschnitt beträgt nur 26,9 Prozent.

Jedoch stellten die Forscher Defizite bei der Förderung leistungsschwächerer oder sozial benachteiligter Schüler fest. Im Bereich Kompetenzförderung findet sich Hamburg am unteren Ende der Bundesländer wieder. Die Leistungskluft zwischen benachteiligten Schülern und ihren Klassenkameraden ist offenbar besonders groß.

Die Forscher haben die Schulsysteme aller Bundesländer auf Chancengerechtigkeit und Leistungsfähigkeit untersucht. Zum Vergleich der Bundesländer wurden 15 Indikatoren gebildet, von der Zahl der Förderschüler bis hin zum Anteil der Abiturienten. Die Studie verzichtet darauf, die Bundesländer insgesamt in eine Reihenfolge zu bringen, sondern will die Schwächen und Stärken einzelner Länder aufdecken. So ist zum Beispiel die Chance eines Hamburger Kindes aus den oberen sozialen Schichten auf den Besuch des Gymnasiums mehr als doppelt so hoch wie bei einem Kind aus einer ärmeren Familie. Das klingt bedenklich, ist aber weit besser als der Bundesdurchschnitt.

+++ Das Abitur wird für alle gleich schwierig +++

Im "Chancenspiegel" ist kein Land überall spitze, kein Land überall Schlusslicht. "Die Bundesländer müssen deutlich mehr voneinander lernen", sagte Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann-Stiftung. Besonders ausgeprägt ist die Chancenungleichheit in Baden-Württemberg, Bayern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Die Abitur-Chancen von Akademikerkindern sind hier im Schnitt 6,1-mal größer als die von Kindern aus niedrigeren Schichten. In Berlin, Brandenburg, Hamburg, Hessen und Sachsen sind diese Chancen im Schnitt nur 2,5-mal so hoch.

Trotz Zusagen der Kultusminister verlassen nach wie vor bundesweit pro Jahr über 60 000 junge Menschen die Schule ohne Hauptschulabschluss. Der Schulforscher Wilfried Bos sagte: "Der Mindestanspruch von Schule muss sein, dass herkunftsbedingte Nachteile von Schülern während ihrer Schulzeit nicht noch verstärkt werden und sie so für ihr Elternhaus auch noch ,bestraft' werden." Von einer echten sozialen Förderung sei das deutsche Schulsystem meilenweit entfernt.