Deutschland sieht ESM-Aufstockung offen. Die Kanzlerin war bisher dagegen. SPD sieht nächste 180-Grad-Wende der Regierungschefin kommen.

Brüssel/Berlin. Im Ringen um eine Aufstockung des geplanten dauerhaften Euro-Rettungsschirms ESM zeichnet sich eine vorsichtige Bewegung Deutschlands ab. Die Bundesregierung, die bisher eine Erhöhung der Kreditobergrenze von 500 auf fast 750 Milliarden Euro ablehnte, sehe die Volumenfrage offen, hieß es gestern aus der Regierung. Berlin sei bereit zu prüfen, ob überhaupt und wenn ja um wie viel Milliarden Euro der Fonds aufgestockt werden müsste.

Die "Süddeutsche Zeitung" berichtete, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) könne sich prinzipiell vorstellen, ihren Widerstand gegen die von vielen Ländern geforderte vorübergehende Erhöhung aufzugeben. "Diesem Druck werden wir uns auf Dauer nicht widersetzen können", zitierte die Zeitung einen namentlich nicht genannten Gesprächspartner.

Die Kanzlerin halte eine ESM-Aufstockung "materiell" weiterhin nicht für zwingend. Der "Rest der Welt" habe sich aber nun einmal darauf versteift, dass eine Aufstockung aus "psychologischen Gründen" nötig sei. Bei einer Aufstockung der Hilfen würde Deutschland mit 280 Milliarden Euro haften. Eine Entscheidung soll in den nächsten Wochen fallen.

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Die Opposition ist verärgert über die Hinhaltetaktik der Bundesregierung. Der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir warf Merkel eine gefährliche "Schneckentaktik" vor. Der Vorsitzende der SPD-Fraktion im Bundestag, Frank-Walter Steinmeier, warf Merkel ein zu zögerliches Vorgehen vor. Immer wenn es darauf ankomme, werde "die Umsetzung von Beschlüssen auf die Zeitlinie geschoben oder aber - wie jetzt - Beschlüsse kommen überhaupt nicht zustande", sagte er im RBB-Inforadio. Am Ende werde es die ESM-Aufstockung geben. Das sagte auch EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) im Deutschlandfunk voraus. Die Aufstockung des ESM könne ein Signal an Spekulanten sein, dass es einen Schutzwall für den Euro gebe, sagte er. Deutschland sei das einzige Land, das in dieser Frage zögere.

SPD-Fraktionsvize Joachim Poß warf Merkel vor, "ihre nächste 180-Grad-Wende in einer zentralen politischen Frage" vorzubereiten. "Natürlich" werde die Kanzlerin der Aufstockung zustimmen, und zwar noch in diesem Monat. "Frau Merkel weiß natürlich - und das nicht erst seit gestern -, dass sie in dieser Frage keine internationale Isolierung Deutschlands zulassen darf", sagte Poß in Berlin.

SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann sprach von einem weiteren Anwendungsfall des "merkelschen Gesetzes": Je vehementer die Kanzlerin etwas ausschließe, desto sicherer sei, dass es später doch eintrete. "Frau Merkel wird erneut umfallen und am Ende auch der Erweiterung des Volumens von EFSF und ESM zustimmen", sagte Oppermann.

Der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir erklärte, die "merkelsche Schneckentaktik" verschärfe die Krise. "Das größte Mitgliedsland der EU darf nicht immer im Bremserhäuschen sitzen und mühevoll von allen anderen über die Ziellinie geschleppt werden, statt mit klarem Verantwortungsbewusstsein für das gemeinsame Europa voranzugehen", sagte er in Berlin.