Ministerpräsident David McAllister gilt als Hoffnungsträger der Union. Doch die Affäre um den Bundespräsidenten geht nicht spurlos an ihm vorbei.

Hannover. David McAllister läuft über den weißen Teppich im großen Sitzungssaal der Nord-LB in Hannover. 40 Männer mit Krawatte und drei Frauen in Anzügen aus Wirtschaft und Verbänden warten auf den Ministerpräsidenten. Beim zweiten Niedersächsischen Energiegespräch soll es um Windkraft an der Küste gehen, um Klimaschutz und den Ausbau der Stromleitungen. Die Panoramafenster reichen bis zum Teppich, im Glas spiegelt sich die Sonne. Von hier, im 17. Stock, schaut man auf das Rathaus und auf das Stadion von Hannover 96. "Da hinten, das ist der Maschsee", sagt McAllister im Vorbeigehen. "Der ist übrigens nicht nach Maschmeyer benannt." McAllister lächelt schelmisch.

Der Geschäftsmann und Wulff-Freund Carsten Maschmeyer, Gratis-Urlaube, gesponserte Partys, Ermittlungen der Staatsanwaltschaft. Schon der Name eines Sees kann die Assoziationskette in Gang setzen. Christian Wulff ist irgendwie immer da dieser Tage, geistert durch McAllisters Kopf.

Niedersächsische Landespolitik schafft es selten in die Tagesschau. Vor Kurzem war es mal wieder so weit, als herauskam, dass das Landwirtschaftsministerium 3411 Euro für Kochbücher bezahlte, die der Eventmanager Manfred Schmidt 2009 auf dem "Nord-Süd-Dialog" in Hannover an die Gäste verschenkte. Ministerpräsident war damals noch Christian Wulff. Es wäre eine Petitesse, hätte Wulff nicht 2010 im Landtag eine finanzielle Beteiligung des Landes an dem privaten Wirtschaftstreffen verneint. Die Nachricht über die Kochbücher war Spitzenmeldung in der Tagesschau. "Das ist schon verrückt", sagt McAllister.

Wie weit geht das alles? Was kommt als Nächstes? In McAllisters Politikerkarriere ist etwas aus den Fugen geraten. Er setzt im Moment nicht die Agenda. Christian Wulff setzt seine Agenda.

Und das ist für McAllister ein Dilemma. Wulff war nicht nur sein Vorgänger, der heutige Bundespräsident hat McAllister gefördert - und befördert. Wulff machte ihn 2002 zu seinem Generalsekretär und wenig später zum Fraktionschef der CDU in Niedersachsen. Manche nennen McAllister den "Ziehsohn" Wulffs. Gegen ihn Stimmung machen, kann er nicht. Will McAllister auch gar nicht. Aber distanzieren muss er sich doch - denn es geht auch um seine Glaubwürdigkeit, und um seine politische Zukunft.

Gegen David McAllister laufen keine Ermittlungen, es gibt keine "Mäc-Affäre" - und doch steckt er in all dem mittendrin. Einige Hundert Anfragen stellten Journalisten seit Dezember zur Bearbeitung in der Staatskanzlei, 160 zusätzliche aus dem Parlament. Die Linke forderte sogar einen Untersuchungsausschuss.

Was mit Schlagzeilen über einen günstigen Kredit des Unternehmers Egon Geerkens für den Bundespräsident begann, erreichte seinen Höhepunkt mit einem wütenden Anruf des Staatsoberhauptes beim Chef der "Bild" und franste aus in Berichten über ein geschenktes Bobby-Car für Wulffs Sohn. Kreditaffäre, Medienaffäre - und zuletzt Betrugsaffäre. Gegen Wulffs engen Vertrauten Glaeseker ermittelt nun die Staatsanwaltschaft wegen des "Verdachts der Bestechlichkeit". Hannover ist im Moment nicht der Ort, der für eine seriöse politische Kultur steht.

Später an diesem Tag steht David McAllister vor dem Bahnhof in Spandau und raucht noch schnell eine Zigarette. Er ist gerade angekommen mit dem ICE 559 aus Hannover. Am Taxistand parken die Audis mit den abgedunkelten Scheiben, der eine Wagen für ihn, seinen Sprecher und den Fahrer, der andere für die vier Bodyguards. Der Ministerpräsident ist auf dem Weg zur Grünen Woche, Deutschlands größter Messe für Landwirtschaft. Ein wichtiger Termin für den Regierungschef von Niedersachsen, dem Agrarland Nummer eins noch vor Bayern. "Niedersachsen ist besser als andere Bundesländer durch die Wirtschafts- und Finanzkrise gekommen", sagt McAllister. 41 Jahre ist er alt, seit Sommer 2010 regiert er gemeinsam mit der FDP in Hannover. Ab 2017 will die Koalition keine neuen Schulden machen - drei Jahre früher, als es das Grundgesetz vorschreibt. McAllister wirbt gerade für ein Neuverschuldungsverbot in der niedersächsischen Verfassung. Er will Hafen, Schienen und Straßen weiter ausbauen. Aber wen interessiert das dieser Tage schon.

Vor zwei Wochen debattierte der Landtag vier Stunden lang. Nicht über Straßenbau, sondern über die Causa Wulff. McAllisters Finanzminister Hartmut Möllring stand am Pult und beantwortete die Fragen der Opposition. Für sie geht es nicht mehr nur um Wulff. Die SPD spricht von einem Tandem "Wulff/McAllister", von einer Verschmelzung von Land, CDU und Wirtschaft in Niedersachsen. McAllister schwieg bei der Debatte im Landtag die meiste Zeit.

+++ McAllister verletzt sich auf Kinderrutsche +++

Die Unterlagen zum Fall Wulff sammelt das Finanzministerium für die Staatsanwaltschaft. "Auf meine Anregung hat die Landesregierung beschlossen, dass der Landesrechnungshof eine Sonderprüfung durchführt", sagt McAllister. Glaeseker habe eine unorthodoxe Arbeitsweise gehabt , "und er hat offenkundig außerhalb der üblichen Kontrollen gehandelt", sagte er vor ein paar Tagen der "Bild". Der Ministerpräsident geht auf Distanz.

David McAllister sitzt auf der Rückbank des Audis. Er rutscht unruhig hin und her, manchmal drückt er den Rücken durch und verzieht das Gesicht. McAllister hat sich den Steiß angebrochen. Am Wochenende, Spielscheune Otterndorf, war er mit den Töchtern unterwegs. "Papa, komm du auch mal auf die Rutsche." Es läuft nicht rund für McAllister dieser Tage.

Aber es gibt Schmerztabletten für den Steiß und Umfragen gegen den Wulff-Frust. Alle zwei Minuten zieht McAllister sein Blackberry aus der Anzughose. Er wartet auf die neuen Umfragewerte, die der NDR am Abend veröffentlichen will. Ein Vertrauter wird ihm die Zahlen vorab auf sein Handy senden. "Das werden gute Werte", sagt McAllister. Wäre schon schön, wenn die noch pünktlich zu seinem Auftritt auf der Messe kämen.

McAllister lässt die abgedunkelte Scheibe runter, er zeigt auf die weißen, zweistöckigen Doppelhaushälften am Rand der Heerstraße in Richtung Messegelände. "Gleich kommt das Haus, in dem ich groß geworden bin", sagt er. Hardyweg, Hausnummer 16. Die "Britensiedlung am Olympiastadion" war elf Jahre lang sein Zuhause. McAllisters Vater war ein britischer Offizier und arbeitete bei der Militärverwaltung in Deutschland. "Heute erkennt man die Geschichte dieses Viertels nur noch an den Straßennamen", sagt er. Dickensweg, Byronweg, Shawweg. Anfang der 80er-Jahre zog die Familie ins niedersächsische Bad Bederkesa. McAllister wohnt dort bis heute mit seiner Frau und seinen zwei Töchtern.

Dann, endlich, piept das Handy. McAllister liest im Auto laut die Nachricht vor. 38 Prozent für seine Partei, wären am Sonntag Landtagswahlen. 65 Prozent Zustimmung für die Politik von McAllister. "Das sind tolle Werte", sagt er. Und dann zu seinem Sprecher: "Sicki, wie formulieren wir das jetzt am besten?" Sein Sprecher skizziert ein paar Sätze für ein Pressestatement. "Es gibt keine Wechselstimmung in Niedersachsen." So könne man das sagen. Die Wulff-Debatte schade nicht. Passt.

Was McAllister nicht sagt: Ihm fehlt im Moment eine Mehrheit, um zu regieren. SPD und Grüne hätten zusammen mehr Stimmen im Landtag. Sein Koalitionspartner FDP krebst bei drei Prozent rum. Für McAllister könnten die Liberalen in einem Jahr das viel größere Problem werden als Wulff. Jeder Fünfte sagt heute, die Debatte um Wulff werde seine Wahl im kommenden Januar in Niedersachsen beeinflussen. McAllister sagt: "80 Prozent sagen, die Wulff-Sache beeinflusse sie nicht."

Messehalle 3/2 in Berlin, kurz vor halb acht. Für eine kleine Geschichte muss jetzt mal Zeit sein. "Leute", sagt David McAllister. "Kommt mal ran hier." Der Ministerpräsident steht neben einer nett lächelnden Frau mit einem roten Pullover und dem Logo von McDonalds auf der Brust. Die Kolonne aus Reportern, Fotografen und Verbandsvertretern scharen sich ein bisschen enger um McAllister und die Frau. Einmal habe er aus Spaß bei der Eröffnung einer Filiale in Niedersachsen gesagt, der Clan der McAllisters sei eng verwandt mit dem der McDonald's. "Da schreibt das doch tatsächlich ein Journalist am nächsten Tag ernsthaft so in die Zeitung", sagt er. Die Kolonne lacht. David McAllister auch. Kam gut an, die Anekdote. Hier auf dem Erlebnisbauernhof auf der Grünen Woche in Berlin ist das alles mit Christian Wulff gerade ganz weit weg. Also weiter zum Stand der niedersächsischen Landjugend. Nächstes Lächeln, nächstes Foto, nächstes Geschichtchen. So geht das an diesem Abend seit einer guten halben Stunde. McAllister genießt das.

+++ McAllister fordert Unterstützung vom Bund +++

Es ist spät geworden, kurz nach neun. McAllister ist in der Niedersachsenhalle der Grünen Woche angekommen. Die Luft ist dunstig, Menschen wuseln um die Bierstände, rund 1000 Gäste sind da, es gibt Ochsenwurst und Klosterschnaps aus Wöltingerode. McAllister hat gerade die Hände der Jagdbläsergruppe Betzendorf geschüttelt, dann schnell noch ein Foto. "Ist cool hier, nä", sagt McAllister.

Der "Mäc" ist geradeaus, bodenständig, sagen die Leute hier in Halle 20. Ein Kumpeltyp. Ganz anders im Stil als Wulff. "Man hat sich gewundert, wie die beiden überhaupt miteinander konnten", sagt einer, der McAllister gut kennt. Der Ministerpräsident steht jetzt auf der Bühne. Er ruft ins Mikro: "An jedem Stand waren hier nette Menschen, so gehört es sich für unser Land." McAllister wippt auf seinen Fußballen ein wenig nach vorne, der Kopf ist gerötet. Er werde ja an diesem Tag auch von Journalisten begleitet, ruft er. "Ihr könnt euch ja sicher vorstellen, warum das so ist." Kurz darauf holt er aus zum Schlussakkord. "Aus Niedersachsen kommt jede zweite Kartoffel, jedes zweite Masthähnchen, jedes dritte Frühstücksei. Und, liebe Freunde, jedes dritte Schwein ist ein Niedersachse." Jauchzen und Klatschen im Saal. Kam gut an, der Kalauer.

Aber Moment mal. War das gerade ein Seitenhieb gegen Wulff? Nach der Rede streitet McAllister jeden Bezug zu Wulff ab. Sein Finanzminister habe ihm den Spruch im Zug gesteckt, ein Evergreen auf der Grünen Woche. McAllister holt die Notizen aus seiner Anzugtasche, handschriftlich hat er den Spruch auf seinen Zettel geschrieben. Und wenn er nur sage, jedes dritte Schwein komme aus Niedersachsen, dann würde doch niemand lachen.

Eine Randnotiz, niemand hätte sich in der Halle 20 gewundert vor einem Jahr oder zwei. Die Leute hätten genauso gelacht. Nicht neu, der Spruch, aber lustig. Doch in diesen Wochen ist das anders. Christian Wulff setzt die Agenda von Ministerpräsident McAllister.