Wohlfahrtsverband spricht von Tricks in der Statistik der Bundesagentur für Arbeit. Arbeitsministerin von der Leyen sieht dagegen Trendwende.

Hamburg/Nürnberg. Über die Kinderarmut in Deutschland ist eine neue Kontroverse entbrannt. Nach neuen Zahlen der Bundesagentur für Arbeit (BA) ist die Zahl der unter 15 Jahre alten Kinder, die Hartz IV beziehen, von September 2006 bis September 2011 von deutschlandweit 1,9 Millionen auf 1,64 Millionen zurückgegangen. Etwa ein Drittel dieses Rückgangs wurde allein von 2010 bis 2011 erreicht.

Diese positive Nachricht hat offenbar statistische Schwächen. So sagte der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, Ulrich Schneider, dem Hamburger Abendblatt: "Fakt ist, dass wir bei allem statistischen Auf und Ab kaum weniger Kinder in Hartz IV haben als bei der Einführung dieses Gesetzes im Jahr 2005. Jedes siebte Kind war es damals und ist es heute. Absolut kein Grund, Erfolge zu feiern." Der Wohlfahrtsverband spricht von Tricks bei der Auslegung der Zahlen, weil nicht alle Jahr, seit es Hartz IV gibt, berücksichtigt wurden.

Arbeitsministerin Ursula von der Leyen sagte dagegen, bei Hartz IV sei eine Trendwende geschafft. "Die Kinderarmut sinkt. Der Trend des vergangenen Jahres zeigt, dass wir gerade da einen Durchbruch schaffen, wo es Kinder unter drei Jahren gibt." Der Ausbau der Krippenbetreuung werde den Trend fortsetzen. Die Wirtschaft als Arbeitgeber und die Jobcenter als Vermittler hätten inzwischen einen veränderten Blick auf Frauen mit Kindern. "Wo die Jobcenter Programme vor allem für alleinerziehende Mütter aufgelegt und eine Kinderbetreuung organisiert haben, ist eine größere Unabhängigkeit von staatlichen Leistungen entstanden."

Tatsächlich lassen sich beim Rückgang der Zahlen von Hartz-Kindern große Unterschiede zwischen den Bundesländern feststellen. Im Fünf-Jahres-Vergleich der Arbeitsagentur schneidet Bayern am besten ab (minus 22 Prozent), Berlin am schlechtesten (minus 1,2 Prozent). In Hamburg ist die Zahl der Kinder unter 15, die von Hartz IV leben, um 8,9 Prozent auf 49 497 Kinder zurückgegangen. Nach einer Studie der Bertelsmann-Stiftung vom April 2011 bezieht in Hamburg fast jeder Vierte unter 15-Jährige Hartz IV.

+++ Kinderarmut in Hamburg um 8,9 Prozent gesunken +++

Wohlfahrtsorganisationen wie der Paritätische Wohlfahrtsverband fordern seit Langem einen öffentlichen Beschäftigungsmarkt, damit Hartz-Bezieher dauerhaft aus der Arbeitslosigkeit kommen. Ministerin von der Leyen räumte ein, dass der Übergang von Hartz IV in eine dauerhafte Beschäftigung "nicht einfach" sei. "Aber für Kinder ist es wichtig zu sehen, dass ihre Eltern mit der Arbeit den Lebensunterhalt bestreiten können." So würden "vererbte" Hartz-Biografien unterbrochen. Von diesen "Hartz-IV-Strukturen in zweiter oder dritter Generation" warnte auch BA-Vorstand Heinrich Alt.

Als arm gilt nach Auffassung der Bundesregierung, wer als Single inklusive Sozialleistungen (Wohngeld, Hartz IV) weniger als 929 Euro im Monat zur Verfügung hat. Das sind 12,6 Millionen Deutsche. Eine von der EU gezogene Schwelle liegt bei 966 Euro. Singles erhalten in Deutschland 374 Euro Hartz IV im Monat. Für Kinder sind es je nach Alter von 219 bis 287 Euro.

Der Deutsche Kinderschutzbund kritisierte die positive Auslegung der neuen Zahlen der Arbeitsagentur. "Seit dem Jahr 2006 gibt es fast 750 000 Kinder unter 15 Jahren weniger in unserem Land. Wenn es also immer weniger Kinder gibt, so ist es keine Überraschung, dass in absoluten Zahlen betrachtet auch immer weniger Kinder von Sozialleistungen leben", sagte Kinderschutzbund-Präsident Heinz Hilgers.