Bärbel Dieckmann, Präsidentin der Welthungerhilfe, zur Lage der Ernährung

Hamburg. Die frühere Oberbürgermeisterin von Bonn, langjähriges Mitglied des SPD-Parteivorstands, führt seit 2008 die Welthungerhilfe.

Hamburger Abendblatt:

Welche Fortschritte und Erfolge haben Sie in 50 Jahren Welthungerhilfe erreichen können?

Bärbel Dieckmann:

Als wir gegründet worden sind, haben etwa 26 Prozent der Menschen auf der Welt gehungert, heute sind es 13 Prozent. Dass die Zahl mit 925 Millionen Menschen heute immer noch sehr hoch ist, liegt auch am Bevölkerungswachstum. Diese Zahlen wollen wir weiter reduzieren.

Was ist problematischer für Ihre Arbeit - die geografisch-klimatische Situation oder die politischen Verhältnisse?

Dieckmann:

Beides. Hunger und Armut finden oft in schwierigen politischen Verhältnissen statt. In den vergangenen Jahren sind die klimatischen Veränderungen dazugekommen. Das kann eine Dürre sein, aber auch Fluten wie in Pakistan. Die Veränderung betrifft vor allem Länder, die ohnehin schon ungünstige Bedingungen haben. Früher gab es in Ländern wie Kenia oder Äthiopien alle zehn oder 13 Jahre eine Dürre, heute alle zwei bis drei Jahre. Aber man kann nicht alles auf den Klimawandel schieben. Viel hängt vom Verantwortungsbewusstsein der Regierungen ab.

Auch in aufstrebenden Wirtschaftsmächten wie China und Indien wird noch gehungert ...

Dieckmann:

Ja. In China gab es vor einiger Zeit noch bis 130 Millionen Hungernde. Das Land arbeitet aber intensiv an dem Problem. Die Chinesen wissen, dass Hunger ein enormes soziales Sprengpotenzial birgt. In Indien gibt es noch circa 225 Millionen Hungernde. Indien und China sind aber wirtschaftlich so stark, dass beide in der Lage sein müssten, Hungerprobleme zu lösen. Wenn es in beiden Staaten keine Hungernden mehr gäbe, wäre die Gesamtzahl schon um ein Drittel reduziert.

Sind Sie auch für Afrika optimistisch?

Dieckmann:

Auch in Afrika gibt es positive Beispiele - etwa Botswana, Ghana, Malawi. Es gibt aber leider auch immer wieder Rückschritte. Gravierend ist die Situation in Somalia, auch der Sudan ist noch nicht stabil. Simbabwe wird durch einen Diktator, der nicht abtreten will, zu einem Staat mit Bürgerkrieg, Armut, Flucht und Hunger. In Afrika wird viel davon abhängen, dass die politischen Eliten Verantwortung übernehmen. Entwicklung wird nicht allein von außen möglich sein.

Macht sich die Euro-Krise auch bei der Spendenbereitschaft bemerkbar?

Dieckmann:

Nein. Es hat im vergangenen Jahr keinen relevanten Rückgang gegeben. Es ist auch damit zu erklären, dass es in den vergangenen Jahren in Haiti, Pakistan und Ostafrika auch drei große Krisen, gegeben hat, bei denen die Menschen zusätzlich gespendet haben. Aber heute wird genau eingefordert, wo das Geld hingeht. Eine globalisierte Welt wird nicht auf Dauer aushalten können, dass eine Hälfte der Menschheit in Armut und Hunger lebt.