Kenan Kolat lobt positive Entwicklung, kritisiert aber Betreuungsgeld für Mütter. Bundesregierung ermittelt ein höheres Armutsrisiko für Zuwanderer.

Berlin. Trotz zählbarer Fortschritte in den vergangenen Jahren haben Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland nach wie vor ein höheres Armutsrisiko, eine höhere Quote an Schulabbrechern und sind im öffentlichen Dienst deutlich unterrepräsentiert. Nach einer neuen Studie der Bundesregierung für den Zeitraum von 2005 bis 2010 betrug das Armutsrisiko bei der Gesamtbevölkerung in Deutschland 14,5 Prozent, bei Migranten jedoch 26,2 Prozent. Und: Die Quoten bleiben gleich bei denen, die selbst zugewandert sind, und bei der sogenannten zweiten Generation.

Etwas verbessert hat sich die Situation bei den Schulabschlüssen. So blieben im Jahr 2005 5,1 Prozent der Migranten ohne Abschluss, im vergangenen Jahr waren es 4,4 Prozent. Die Zahl der langzeitarbeitslosen Migranten ging von 9,8 auf sechs Prozent zurück. Positiv seien die Entwicklungen bei der frühkindlichen Bildung, der Ausbildung sowie der Integration in den Arbeitsmarkt, sagte die Bundes-Integrationsbeauftragte Maria Böhmer (CDU) bei der Vorstellung der Studie. Dennoch seien die Unterschiede zwischen den 16 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund und den Deutschstämmigen immer noch zu groß, sagte Böhmer.

Die Integration müsse noch "verbindlicher" gestaltet werden. Mit Blick auf die Schulabbrecher sagte Böhmer, die Schulen müssten "wirkliche Orte der Integration" werden. Die Studie kommt aber zu dem Schluss, dass nicht der Migrationshintergrund über die Entwicklung entscheide. Wesentlicher Faktor sei vor allem die soziale Herkunft. Eine erhebliche Rolle spiele auch, ob die Umgangssprache in der Familie Deutsch ist, schreiben die Wissenschaftler.

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Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde, Kenan Kolat, sagte dem Abendblatt: "Die Studie zeigt die positive Entwicklung. Doch das sind bislang nur nackte Zahlen." Es fehlten die Erfahrungen der Zuwanderer, die ihm noch immer von Diskriminierung berichteten. Kolat lobte Maßnahmen wie anonyme Bewerbungen: "Wir müssen die Erfahrungen abwarten, aber das ist ein richtiger Weg, der in anderen Ländern bei der Integration bereits Erfolge gezeigt hat."

Gleichzeitig kritisierte Kolat das von der Bundesregierung geplante Betreuungsgeld für Mütter , die ihre Kinder zu Hause erziehen. "Das ist kontraproduktiv. Es ist sinnvoll, die Verweildauer in den Kitas zu erhöhen und gleichzeitig entsprechendes Personal für die Betreuung zu haben." Dort zeigt die Studie bereits Erfolge. So stieg der Anteil von Migranten am Fachpersonal in Kindergärten und Grundschulen um 21 Prozent, an weiterführenden Schulen um 27 Prozent und an Hochschulen um acht Prozent.

Kolat kündigte für den kommenden Integrationsgipfel Ende Januar im Kanzleramt außerdem eine Erklärung zum Rassismus an. Nach der Aufdeckung der Neonazi-Morde der Zwickauer Terrorzelle war Kolat mit der Reaktion von Bundespräsident Christian Wulff zufrieden. "Er hat meinen vollen Respekt dafür, dass er die Angehörigen der Opfer eingeladen und die richtigen Worte gefunden hat." Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde sagte: "Er ist auch unser Bundespräsident."