Das “Dialogorientierte Serviceverfahren“ sollte die Studienplatzvergabe verbessern. Doch die Software sorgt nur für Verwirrung.

Hamburg. Bernhard Hartung antwortet mit einem kleinen Seufzer. Der Geschäftsführer der Hochschul-Informations-System GmbH (HIS) ist kritische Anfragen mittlerweile gewohnt. Zu viele haben schon auf sein Unternehmen geschimpft. Zuletzt platzte Thüringens Bildungsminister Christoph Matschie (SPD) und Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) der Kragen: Sie machen seine Firma für die Pannenserie bei der Einführung eines Online-Zulassungsverfahrens für Numerus-clausus-Fächer verantwortlich. HIS habe "Geld verschlungen, aber nicht geliefert", sagte Matschie. Bundesministerin Schavan erklärte sogar, dass HIS seine Glaubwürdigkeit eingebüßt habe. Es ist der vorerst letzte Höhepunkt eines monatelangen Streits.

Dabei könne sein Unternehmen wenig dafür, dass die Politik eine herausragende Verbesserung versprach, ohne vorab zu prüfen, ob die neue Software mit den dezentralen Systemen der einzelnen Hochschulen kompatibel ist, sagte Hartung. Und genau das sei sie eben nicht - oder nur in den seltensten Fällen. Ein Umstand, "den die Politik schon damals hätte erkennen müssen".

Der Zankapfel trägt den sperrigen Namen "dialogorientiertes Serviceverfahren", kurz DoSV, und war einst der große Hoffnungsträger der deutschen Hochschullandschaft. Mit ihm sollte alles besser werden: kein vergebliches Warten auf einen Studienplatz mehr. Und vor allem keine Serienbewerbungen mehr, mit denen verzweifelte Bewerber versuchen, sich einen Platz an Hochschulen ihrer zweiten oder dritten Wahl zu sichern, falls es am Lieblingsstandort nicht klappt. Denn genau diese Mehrfachbewerbungen werden zum Problem, wenn Studienanfänger beispielsweise von drei Hochschulen einen positiven Bescheid bekommen, sich aber bei den zwei überflüssigen nicht abmelden. Das passiert erfahrungsgemäß ziemlich häufig: Bis zu 20 000 Studienplätze bleiben jährlich unbesetzt oder können nur verspätet vergeben werden, weil Hochschulen bis zum Semesterstart keinen Überblick darüber haben, wer sich nur sicherheitshalber bei ihnen beworben hat und wer seinen Studienplatz wirklich antritt.

Mit DoSV sollte jeder angehende Akademiker online einsehen können, wie seine Chancen auf einen Platz aussehen. Sobald er an einer Universität oder Fachhochschule angenommen worden ist und sein Okay zur Platzannahme gegeben hat, meldet das System ihn automatisch von der Bewerberliste aller anderen Hochschulen ab. Das Zulassungsverfahren sollte mit DoSV transparenter, reibungsloser und effizienter werden.

Ist es aber nicht. Denn seit 2010 ist der Start des Systems immer wieder verschoben worden. Der neueste Termin für die Pilotphase ist das Wintersemester 2012/13. Bis das System flächendeckend eingeführt ist, wird es laut der Stiftung für Hochschulzulassung "hochschulstart.de" (ehemals ZVS) noch ein Jahr länger dauern. Und zwar, weil "vor allem ein Softwareanbieter, nämlich HIS, den Datenaustausch nicht hinkriegt", so der Sprecher der Stiftung, Bernhard Scheer.

Dabei war HIS nur indirekt an der Konzipierung des Projekts beteiligt, sagt Geschäftsführer Hartung: Das sogenannte Lastenheft, das die Funktionen der Software umschreibt, entwarf das Fraunhofer-Institut für Rechenarchitektur und Softwaretechnik. Den eigentlichen Auftrag zur Entwicklung einer Software erhielt die Telekom-Tochter T-Systems. Diese habe die Firma HIS laut Hartung nur beratend hinzugezogen. Und anstatt ein zentrales Vergabeverfahren ähnlich der ehemaligen ZVS einzuführen, ist es jeder Hochschule weiterhin gestattet, neben den klassischen NC-Fächern wie Pharmazie oder Medizin auch bei anderen Studiengängen einen NC einzuführen. Die Vergabe dieser Fächer erfolgt dann nach dem örtlichen Zulassungssystem und nicht nach zentralen Vorgaben. Etwa 40 Universitäten und Fachhochschulen seien mittlerweile bereit, an dem Pilotprojekt von DoSV teilzunehmen, erklärt Stiftungssprecher Scheer. Dem gegenüber stehen 150 Hochschulen, die eine alte HIS-Software benutzen. HIS steht nun in der Verantwortung, sogenannte Konnektoren, also Verbindungsstücke zu entwickeln. "Die Aufgabe überfordert HIS. Das muss man so sagen", gibt Hartung zu. Doch aus einer Anfrage an die Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Prof. Dr. Margret Wintermantel, geht hervor, dass seine Firma mit dem Problem nicht alleine dasteht. "Bisher kann noch kein Anbieter von Campus-Management-Software eine fehlerfreie Anbindung an das System der Stiftung für Hochschulzulassung bewerkstelligen", sagte Wintermantel dem Hamburger Abendblatt.

Erleichtert würde der Anschluss jedoch durch den Wechsel zur neuen HIS-Software-Generation, sagt Hartung. Doch der läuft bislang schleppend. "Die Umstellung war sowieso geplant. Aber dann ist sie mit dem Wechsel zu DoSV zusammengefallen. Dabei ist schon die Einführung von einem neuen System alleine ein Riesenprojekt für jede Uni", erklärt Hartung. Da die Umstellung auf die neue HIS-Software nicht vor 2015 abgeschlossen werden könne, muss das Unternehmen zunächst für seine alte Software funktionierende Konnektoren bereitstellen. Doch dafür habe es bislang weder die Kapazitäten noch die Mittel gegeben.

Er hat alles durchgerechnet: 1,6 Millionen Euro hätte er 2011 benötigt, plus 780 000 Euro für 2012. Zu spät. Die 15 Millionen Euro Anschubfinanzierung, die der Bund für die Projektentwicklung und Implementierung von DoSV zur Verfügung gestellt hat, seien an den Hauptentwickler der Software, T-Systems, gegangen, meint Hartung. Für seine Beratertätigkeit erhielt HIS von T-Systems nach eigenen Angaben zwar 120 000 Euro. Doch die eigentliche Arbeit wartet noch. Die Firma muss die Systeme von 150 Hochschulen zum Laufen bringen - falls die Lehranstalten nicht vorzeitig aus dem Projekt aussteigen. In diesem Fall wäre nicht nur der Prestigeverlust gewaltig. Die Studienbewerber dürften dann auch in den kommenden Jahren mit undurchsichtigen Zulassungsverfahren und langen Wartezeiten zu kämpfen haben.