Mütter, die sich gegen einen Job und für die Erziehung entscheiden, leben gegen den gesellschaftlichen Trend und fühlen sich nicht wertgeschätzt.

Eines der jüngeren Hamburger Reservate für die aussterbende Gattung MuH - "Mutter und Hausfrau" - liegt am Ende einer Spielstraße in Hamburg-Iserbrook. 100 Meter abseits der viel befahrenen Osdorfer Landstraße öffnet sich eine künstliche Lichtung, umgeben von städtischem Mischwald. Hier haben vor gut 18 Monaten mehrere junge Familien ihre neuen Reihenhäuser in Passiv-Bauweise bezogen. 130 Quadratmeter Wohnfläche bieten ordentlich Platz für viele Kinder.

Vor fast jedem Hauseingang steht ein praktischer Gartenschuppen. Hinten führen großzügige Terrassen auf ein frisch gesätes Stück Rasen hinaus, das nach wenigen Metern an einer Hecke endet. Die dient, wie bei der Familie Langkat, als Barriere zum großen Gemeinschaftsspielplatz. Eine Menge Bobbycars, Laufräder und runde Kindertrampolins liegen am Straßenrand verstreut herum und mahnen Autofahrer zur Schleichfahrt.

Es ist erstaunlich ruhig an diesem ganz normalen Vormittag. Es ist eigentlich viel zu ruhig. Und zwar deshalb, weil viele der Frauen, die hier leben, sich dem wochentäglichen Spagat zwischen Kindern und Küche sowie Kita und Karriere hingeben. So hat Bianca Langkat, 33, die vierfache Mutter, viel Zeit, um die Pflichtarbeiten des Alltags zu erledigen, anstatt den Vormittag mit Nachbarinnen bei einem Latte macchiato zu verquatschen. "Manchmal fühle ich mich schon ziemlich alleine", sagt Bianca Langkat nachdenklich, nebenbei stillt sie ihre sechs Monate alte Tochter Runa, "denn außer von meinen Kindern, meinem Mann und meinen Freunden bekomme ich ziemlich wenig zurück. Vielleicht wird ja auch meine Haltung von vielen Menschen heutzutage nicht verstanden." Kein Wunder, gilt doch Bianca Langkats "Haltung" heutzutage als antiquiert. Sie kommt ja auch praktisch nur noch in der Fernsehwerbung für Wasch- und Reinigungsmittel vor: Denn die Langkats haben sich bewusst dazu entschieden, vier Kindern zu bekommen und deren Erziehung in den ersten Lebensjahren selbst in die Hand zu nehmen und sie nicht der Obhut einer Kindertagesstätte oder Tagesmutter zu überlassen, um selbst zum Bruttosozialprodukt beizutragen. Diesen Teil ihres Lebensplans haben sie bereits gemeistert.

Bianca Langkats drei andere Kinder Kira, 4, Mica, 7, und Caja, 9, gehen in den Kindergarten und in die Schule. "Dass mich Waschen, Kochen und Putzen manchmal nervt, kann wahrscheinlich jeder nachvollziehen", gibt sie zu und vermutet, "dass es wahrscheinlich sogar leichter ist, die Aufgaben einer Mutter und Hausfrau zu delegieren." Was jedoch stets mit happigen Kosten verbunden sei. "Mir fehlt manchmal so was wie eine öffentliche Wertschätzung für meine Leistung. Schaffe ich denn etwa nichts für die Gesellschaft?" Es klingt beinahe trotzig, wie sie das sagt. Dahinter vermutet sie freilich ein urdeutsches Problem: "Ich glaube, in Italien oder Frankreich genießen Mütter ein viel höheres Ansehen."

Die Hausfrau verstößt gegendas allgemeingültige Frauenbild

Als sie und ihr Mann Shenja, 37 - trotz seines russischen Namens ein waschechter Hamburger, der drüben in Finkenwerder bei "Airbus" arbeitet -, sich vor elf Jahren kennenlernten, stand für die Langkats schnell fest, dass sie gemeinsam den traditionellen Eheweg beschreiten wollten: Shenja sollte alleine dem Haushaltseinkommen hinterherjagen, Bianca sich in der Familienhöhle um die Erziehung der Kinder kümmern. Solch ein Lebensplan verstößt jedoch eklatant gegen das allgemeingültige Bild der erfolgreichen Frau in der heutigen Gesellschaft, das vor allem durch den harmonischen Dreiklang aus Selbstständigkeit, finanzieller Unabhängigkeit und mütterlicher Fürsorge komponiert wird. Über Frauen wie die "Tatort-Kommissarin" Charlotte Lindholm, die dieses Bild zumindest in der Fernsehwirklichkeit verkörpern soll (tatsächlich aber wegen der anhaltenden Leichenschwemme ihr Filmkind David stets nur kurz und oberflächlich busseln darf), kann Bianca Langkat nur milde lächeln. "Karriere oder Kinder?", fragt sie und gibt die Antwort selbst: "Eins von beiden kommt doch garantiert immer zu kurz." Gegen halb eins wird es Zeit, die Zweitjüngste, Kira, aus dem Kindergarten abzuholen. Runa protestiert nicht, als sie angezogen und in den Kinderwagen verfrachtet wird. "Sie ist ein sehr ausgeglichenes Kind", sagt die Mutter stolz. "Woran das wohl liegen mag?" Bis zum Kindergarten ist es bloß ein kurzer Spaziergang. Er führt über den Schulhof einer angrenzenden Grundschule und an einer Kirche vorbei. Tatsächlich: Nicht wenige der anderen Mütter, die zur selben Zeit ihre Kinder einsammeln, wirken im Gegensatz zu Bianca Langkat irgendwie gehetzt. Vor dem Horteingang parken Bollerwagen, auf der Straße Zweitwagen in zweiter Reihe. Besonders Letztere gehören den Müttern, die auch im Berufsleben ihre Frau stehen wollen. Oder stehen müssen.

Von 2013 an sollen Mütter, die nicht arbeiten, 150 Euro bekommen

Elke Wiczorek vom DHB-Netzwerk Haushalt (früher Deutscher Hausfrauenbund) findet es geradezu lobenswert, wenn eine Frau sich heutzutage bewusst dazu entschließe, der Kinder wegen zu Hause zu bleiben. "Andererseits zieht das zumeist einen Karriereknick nach sich, und auch ihre Rentenbiografie leidet für gewöhnlich", sagt die Familienexpertin. Können dann 150 Euro Betreuungsgeld eine so tief greifende Entscheidung fürs Mutter-und Hausfrauen-Dasein positiv beeinflussen? Dieser Zuschuss soll ab dem Jahr 2013 all denjenigen Eltern zugute kommen, die für ihre Kinder unter drei Jahren keinen staatlich geförderten (und dann rechtlich garantierten!) Betreuungsplatz in Anspruch nehmen.

Über das Für und Wider dieser als "Herdprämie" verspotteten Familiensubvention führen alle politischen Parteien eine erbitterte Dauerdebatte, die von der zuständigen Bundesministerin Kristina Schröder als "Zielkonflikt" beschrieben wird: Zum einen gehe es darum, wie der Staat junge Eltern unterstützen kann, die sich bewusst in Vollzeit der Erziehung widmen wollen. Zum anderen müsse der Staat dafür sorgen, dass Kinder, die von einem Krippenbesuch profitieren würden - etwa wegen einer frühen Sprachförderung - diese Chance auch erhalten. Es sei allerdings keine staatliche Aufgabe, den Familien vorzuschreiben, wie sie die Betreuung ihrer Kinder organisieren. Die 150 Euro seien eben als "Anreiz" zu verstehen.

"Ich würde das Geld nehmen", sagt Bianca Langkat nach kurzem Überlegen, "aber diese 150 Euro machen den Kohl im Grunde nicht fett." Das Geld könne man sinnvoller einsetzen: für noch mehr Kita- und Hortplätze oder verlässliche Ganztagsschulen, "damit Frauen ihre Kinder sicher untergebracht wissen, um arbeiten gehen zu können und ihre Zukunft gestalten zu können". Hier spricht jetzt die gelernte Erzieherin. Immerhin hat das Betreuungsgeld ein Gesamtvolumen von 2,7 Milliarden Euro pro Jahr. Darüber hinaus hat die "Herdprämie" jedoch jetzt einen weiteren Konflikt zu Tage gefördert, der gerne verschwiegen wird.

Dieser ganz spezielle Konflikt unter Frauen kommt zum Beispiel auch in Bönningstedt, dem "letzten Dorf vor Hamburg", vor. In der Seafordkehre. Dieses nordwestlich der Hansestadt gelegene ursprüngliche Familienparadies existiert bereits seit elf Jahren. Hier sind es nicht die Bobbycars und Laufräder, sondern Mountainbikes und Skateboards, die als Stolperfallen herumliegen; hier müsste auch der immergrüne Sichtschutz dringend mal beschnitten werden. Die vierköpfige Familie Wagner gehörte zu den Ersten, die hier einzogen. Fenja Wagner, 42, Berufsaussteigerin aus Überzeugung, erinnert sich: "Ich hatte BWL studiert und arbeitete nach der Geburt von Tom noch etwa ein Jahr als Kreditentscheiderin bei der Commerzbank in Teilzeit. Auch wenn es kinderfreundliche Arbeitszeiten waren: Ich war gottfroh, als ich endlich zu Hause bleiben konnte und mich nicht mehr zerreißen musste."

Fenja Wagner nerven die speziellen Fragen, gerade von anderen Frauen

Das Gehalt, das ihr Mann Claus, 45, als EDV-Spezialist bei der Hamburger Sparkasse verdient, reicht den Wagners zum Leben. Nicht für große Sprünge. Fenja Wagner selbst sieht sich als Mama, Putzfrau, Pädagogin, Erzieherin, Taxifahrerin, Köchin, Tierpflegerin, Freundin, Ärztin und Psychologin. Was sie jedoch zunehmend höllisch nerve, seien diese "ganz speziellen Fragen" - vor allem von den berufstätigen Frauen -, die immer denselben, lauernden Tenor hätten: Ist das die Erfüllung deines Lebens? Findest du dein Leben nicht sehr einseitig? Fühlst du dich nicht viel zu abhängig von deinem Mann? Auch Silke Meiser, 39, eigentlich Fenjas beste Freundin, eine alleinerziehende Mutter zweier Mädchen - aber im "Nebenjob" Physiotherapeutin -, hat ihr diese Fragen schon häufiger gestellt. Immer wieder, auch heute, bei Erdbeerkuchen und Kaffee. "Ich würde ja eingehen! Für mich ist Arbeit wie Urlaub - Urlaub von Kindern und Haushalt." Fenja Wagner lacht. "Egal, wie Frau es in diesem Land auch anstellt", sagt sie, "ist es falsch." Mütter, die arbeiten, würden als "Rabenmütter" angesehen. Mütter, die sich dagegen fürs Daheimbleiben entscheiden, würden in die Depressionsschublade gesteckt und könnten sich in ihrer Persönlichkeit angeblich niemals entfalten. "Diese Form von Stutenbeißerei habe ich schon häufiger erlebt", sagt sie mit einem Seitenblick auf ihre Freundin, "na ja, aber Silke darf das ..."

Jede Dritte, die nach 1966 geboren ist, bekommt keine Kinder

Weder Bianca Langkat noch Fenja Wagner glauben an die Vereinbarkeit von Kindern und Karriere. Immer mehr berufsorientierte Frauen offenbar auch nicht: Zwar kennt niemand das wirkliche Ausmaß der gewollten Kinderlosigkeit in Deutschland. Doch nach der jüngsten Schätzung des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BIB) in Wiesbaden bleiben rund 30 Prozent der Frauen, die nach 1966 geboren sind, ohne Kinder. Und unter den westdeutschen Akademikerinnen sind es bereits zwei Drittel, die laut Umfragen durch Kinder ihre berufliche Karriere davonschwimmen sehen, den finanziellen Absturz fürchten - oder beides.

Unterstützung erhalten die Mütter und Hausfrauen ausgerechnet von der deutschen Urmutter der Emanzipation: "Ich finde die Erleichterung von Frauen, die wegen ihrer kleinen Kinder erst mal aussteigen aus dem Beruf, sehr verständlich. Denn unter den in Deutschland vorherrschenden Bedingungen ist die Verbindung von Beruf und Mutterschaft ein Drahtseilakt", sagt Alice Schwarzer dem "Hamburger Abendblatt". Die "Emma"-Herausgeberin fügt jedoch einschränkend hinzu: "Das Problem ist nur, dass vielen Frauen später die Decke auf den Kopf fällt und sie wieder reinwollen in den Beruf. Dann aber wird es schwierig - und auf einer eigentlich angemessenen Qualifikationsstufe fast unmöglich."

Vielleicht haben auch Fenja Wagner und Bianca Langkat sich deshalb dazu entschlossen, irgendwann wieder in die Arbeitswelt zurückzukehren. Beide verschwenden jedoch keinen Gedanken daran, dass dies aus Trennungsgründen nötig werden könnte. "Im Grunde ist es ja nicht fair, dass mein Mann zurzeit das gesamte finanzielle Risiko trägt. Trotzdem würde ich nur wieder arbeiten gehen, wenn meine Kinder wirklich auf eigenen Füßen stehen und es sich auch finanziell lohnt", sagt Fenja Wagner. Sie rechne zwar nicht damit, gleich den passenden Job zu finden, "aber irgendwas Sinnvolles werde ich bestimmt schon finden."

Bianca Langkat ist da bereits einen Schritt weiter: Die Erzieherin hat in den vergangenen Jahren mehrere Fortbildungskurse und eine Zusatzausbildung zur Gestalttherapeutin absolviert. "Ich habe schon immer das getan, was mein Herz mir sagt. Dennoch sollte man nicht aus den Augen verlieren, was später kommt - wenn dann die Kinder aus dem Haus sind."