Der Regierungschef verzichtet bei der Wahl zum Ministerpräsidenten, gegen Hannelore Kraft zu kandidieren. Kalkül oder Rückzug auf Raten?

Hamburg. Jürgen Rüttgers zieht es in die Hinterbank. Der nordrhein-westfälische Regierungschef will weder bei der Ministerpräsidentenwahl Mitte Juli gegen die SPD-Kandidatin Hannelore Kraft antreten noch für das Amt des CDU-Fraktionsvorsitzenden im Landtag kandidieren. Sollte Kraft gewählt werden, wird also ein anderer als Rüttgers die Opposition anführen.

Nach einer mehrstündigen Sitzung am Sonnabend hatte Rüttgers seinen Entschluss bekannt gegeben. "Ich habe mich eingesetzt für eine Große Koalition, und ich werde jetzt nicht antreten im Landtag, um als Gegenpol zu einer rot-rot-grünen Zusammenarbeit zur Verfügung zu stehen", sagte der noch amtierende Ministerpräsident. Sein Landtagsmandat gebe er aber nicht auf. Auch den Landesvorsitz der nordrhein-westfälischen CDU will er mindestens bis zum Frühjahr 2011 behalten.

Nicht nur in Düsseldorf, auch in Berlin rätseln Rüttgers' Parteifreunde über diesen Schritt. Ein vollständiger, konsequenter Rückzug sähe anders aus. Es wird spekuliert, dass der Noch-Regierungschef auf ein schnelles Ende bei der rot-grünen Minderheitsregierung hofft und bei Neuwahlen als Spitzenkandidat ins Rennen gehen kann. Würde er den Parteivorsitz vorzeitig abgeben, hätte er seine allerletzte Chance auf ein politisches Comeback aus den Händen gegeben, heißt es in seinem Landesverband. Rüttgers selbst sagte dazu nur: "Ich habe dem Landesvorstand gesagt, dass ich mich nicht vom Acker mache."

Doch selbst seine Bereitschaft zu einem Rückzug auf Raten soll nicht ohne Druck aus dem geschäftsführenden Vorstand erfolgt sein. Rüttgers habe durchblicken lassen, durchaus gegen Kraft antreten zu wollen und auch den Fraktionsvorsitz zu übernehmen. Dagegen habe sich die Runde klar ausgesprochen, ist aus dem Vorstand zu hören. Andere Teilnehmer berichten, Rüttgers habe nie auf den Fraktionsvorsitz gepocht. Dass es Meinungsverschiedenheiten gab, deutete der Parteichef nur an: "Es war ein Klima, in dem wir sehr offen miteinander geredet haben."

SPD-Chef Sigmar Gabriel sprach nach dem Rückzug vielleicht das aus, was man in der CDU so offen nicht sagen konnte. Rüttgers wolle sich offenbar die "erwartbare Demütigung ersparen, am Ende nicht alle Stimmen seiner eigenen und heillos zerstrittenen CDU zu bekommen", sagte Gabriel.

Der Regierungschef, der in den fünf Jahren seiner Amtszeit ein auf ihn persönlich zugeschnittenes Entscheidungssystem aufgebaut hatte, hinterlässt ein auffallendes Machtvakuum. Völlig offen ist daher, wer sich im Juli zur Wahl des Fraktionsvorsitzenden stellen wird. Im Falle einer Neuwahl würde dessen Name automatisch auch für eine Spitzenkandidatur infrage kommen. Genannt werden stets die drei bekannten Kronprinzen: Arbeitsminister Karl-Josef Laumann, Integrationsminister Armin Laschet und Generalsekretär Andreas Krautscheid. Auch in der möglichen Rüttgers-Nachfolge für den Landesvorsitz geht hinter den Kulissen die Suche bereits los. Bundesumweltminister Norbert Röttgen gilt als aussichtsreichster Kandidat, zumal er als Vertrauter von CDU-Chefin Angela Merkel mit Rückenwind aus dem Konrad-Adenauer-Haus rechnen kann.

Während die CDU allmählich die Oppositionsrolle annimmt, geht in der SPD die Debatte um die geplante Minderheitsregierung weiter. SPD-Landeschefin Hannelore Kraft warb am Wochenende um Unterstützung bei den Liberalen. Nichts sei im Moment unmöglich, es sei unglaublich viel in Bewegung, sagte sie dem "Spiegel". Auf mittlere Sicht schließe sie nicht aus, dass man auch bei der FDP Unterstützung finden könne. "Die FDP wird sich verändern, aber das braucht Zeit."