Christian Wulff über die Details seiner Nominierung, die Wertschätzung für seinen Gegner, den Reiz eines jungen Präsidenten und über seine Vorbilder

Am 30. Juni entscheidet die Bundesversammlung, wer neues Staatsoberhaupt wird. Im Abendblatt-Interview sagt der Kandidat von Union und FDP, der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff, welche Akzente er als Bundespräsident setzen will.

Hamburger Abendblatt:

Herr Wulff, werden Sie beim Finale der Fußball-WM in Johannesburg als Bundespräsident auf der Tribüne sitzen?

Christian Wulff:

Dann wäre Deutschland jedenfalls im Finale. Dafür drücken wir alle die Daumen.

Halten Sie es für möglich, dass Sie die Wahl verlieren?

Ich bin zuversichtlich, dass mich die Mehrheit der Bundesversammlung zum Präsidenten wählen wird. Aber entschieden ist es erst nach Auszählung der Stimmen. Vorher konzentriere ich mich darauf, viele Wahlfrauen und Wahlmänner für mich zu gewinnen - auch aus anderen Fraktionen als denen von CDU, CSU und FDP. Mein Leben lang habe ich mich bemüht, Brücken zu bauen, auszugleichen und zusammenzuführen. Ich habe jeden und jede ernst genommen.

Joachim Gauck, der von SPD und Grünen nominiert wurde, löst in Teilen von Union und FDP geradezu Begeisterung aus. Überrascht Sie das?

Ich verstehe vor allem, dass die FDP im ersten Wahlgang gerne einen eigenen Kandidaten gesehen hätte. Es ist eher spektakulär, dass sich alle drei Koalitionsparteien gleich für den ersten Wahlgang auf einen Bewerber verständigt haben. Das ist ein großer Vertrauensbeweis. Im Übrigen habe auch ich großen Respekt vor der Biografie und Lebensleistung Joachim Gaucks. An seiner Kompetenz gibt es keinen Zweifel. Er ist ein sehr guter Kandidat.

Was sagen Sie jenen im bürgerlichen Lager, die Gauck für den besseren Präsidenten halten?

Da habe ich das Selbstbewusstsein zu sagen, dass ich zu den Herausforderungen des demografischen Wandels und zu aktuellen globalen Fragen - Weltfinanzordnung, Weltklima, Weltfrieden, Dialog der Kulturen und Religionen - ebenfalls sehr viel beizutragen habe.

Was haben Sie Gauck auf diesen Feldern voraus?

Ich will nicht aktiv zu einem Kandidatenvergleich beitragen. Jeder wird sich sein eigenes Bild machen über Stärken und Schwächen der Bewerber.

Sie sind als "personifizierte Mitte" beschrieben worden, auch als "Mann ohne Eigenschaften". Verletzt Sie das?

Früher habe ich mich über solche Beschreibungen gelegentlich geärgert. Längst hebe ich auf das Erreichte ab. Das leise Wort kann oft sehr viel mehr bewirken als der große Aufschlag mit Pauken und Trompeten. So freue ich mich darüber, dass 77 Prozent der Menschen in Niedersachsen, also dort, wo man mich wirklich kennt, mit meiner Arbeit zufrieden sind. Ich habe oft damit zu kämpfen gehabt, dass die Menschen, die mich nicht kannten, zuerst skeptisch waren. Ich konnte mich aber immer auf die verlassen, die mich kannten. Das gibt mir das Gefühl, die Menschen gewinnen zu können für meine Arbeit als Bundespräsident unseres Landes.

Wie viele Menschen in der Bundesversammlung kennen Sie so gut?

Eine ausreichende Zahl.

Der Kandidat Gauck wird als Freiheitsmensch gefeiert, der Kandidat Wulff als Produkt von Parteiengeschacher kritisiert. Ungerecht?

Joachim Gauck hat Unfreiheit erlebt in der DDR, und er hat beeindruckende Beiträge zur Bedeutung der Freiheit geleistet. Das macht ihn wertvoll als Ratgeber. Auch ich habe ihn schon zu Vorträgen eingeladen. Zwischen den Prozessen, die zur Kandidatur von Joachim Gauck und zu meiner Nominierung geführt haben, kann ich keine Unterschiede erkennen. Ich empfinde es als höchst problematisch, wenn man unterscheidet zwischen Menschen und Parteimenschen, zwischen von außen kommenden "Heilsbringern" und "Parteisoldaten".

Worauf wollen Sie hinaus?

Wir brauchen die Menschen, die sich zu Zehntausenden vor allem ehrenamtlich in den politischen Parteien engagieren. Der Erfolg unseres Landes - Frieden, Freiheit, soziale Marktwirtschaft - ist auch durch Diskussionen in den Parteien und die Durchsetzung der notwendigen Beschlüsse hervorgebracht worden. Wir Deutsche haben unseren Parteien, insbesondere den Volksparteien und auch der FDP, viel zu verdanken. Wir müssen den Graben zuschütten und die Parteien versöhnen mit mancher Bürgerinitiative und vorhandener Politikerverdrossenheit. Der Weg aus der Vertrauenskrise ist nicht der Abschied von den Parteien. Wir müssen vielmehr Brücken bauen zwischen Parteien und Bürgermisstrauen.

Könnte eine Direktwahl des Bundespräsidenten dazu beitragen?

Ich bin dagegen, den Bundespräsidenten vom Volk wählen zu lassen. Eine Direktwahl würde das Staatsoberhaupt mit Erwartungen an Macht und Einfluss versehen, die es nicht einlösen könnte. Der Bundespräsident ist Hüter der Verfassung und Repräsentant des Staates, aber er gestaltet nicht die Tagespolitik.

Sie haben einmal gesagt, Sie seien kein Alphatier. Muss nicht gerade der Bundespräsident eine Leitfigur sein?

Die Zurückhaltung, die das Amt des Bundespräsidenten erzwingt, ist idealtypisch für jemanden, der zusammenführen will. Ein Kanzler muss alles Persönliche hintanstellen und ganz in der politischen Architektur aufgehen. Das Staatsoberhaupt ist nicht in der Pflicht, alles zu vertreten, was die eigene Partei sagt, und alles anzugreifen, was eine andere Partei sagt.

Welcher der bisherigen Bundespräsidenten ist für Sie am ehesten Vorbild?

Wir haben einfach Glück gehabt mit allen unseren Bundespräsidenten - jeder in seiner Art, jeder zu seiner Zeit.

Mit allen?

Ohne Ausnahme. Jeder der Bundespräsidenten hat große Verdienste um unser Land. Jeder der Bundespräsidenten ist auf seine Weise mein Vorbild.

Bei welchen Altpräsidenten holen Sie sich Rat?

Besonders verbunden fühle ich mich Horst Köhler, den ich auch in seinem Urlaub auf Norderney getroffen habe. Roman Herzog bin ich oft begegnet, mit Richard von Weizsäcker habe ich zuletzt in Brüssel eine interessante Debatte gehabt über das deutsch-polnische Verhältnis. Walter Scheel hat mich - zusammen mit Außenminister Hans-Dietrich Genscher - in den Siebzigerjahren sehr beeindruckt. Ich werde diese Gespräche intensiv suchen. Niemand kann vermutlich mehr Rat geben als diejenigen, die das Amt innehatten.

Haben Sie verstanden, warum Horst Köhler zurückgetreten ist?

Horst Köhler hatte eine herausragende Fähigkeit, den richtigen Ton zu treffen und behutsame Hinweise zu geben. Er hat sich wohl geärgert über die Personalisierung, Skandalisierung und Emotionalisierung von Themen in einzelnen Medien. Es gab eine Diskrepanz zwischen dem, was er sich wünschte, und dem, was er erlebte.

Gilt das auch für das Verhältnis zur Kanzlerin?

Das glaube ich nicht. Horst Köhlers Enttäuschung galt offenbar Teilen der Medien. Wir müssen damit leben, dass dort immer auch versucht wird, Meinung zu machen. Gleichwohl sollte es ein Nachdenken geben über die Rolle der Medien beim Rücktritt von Horst Köhler wie auch bei der frühen Ausrufung von Ursula von der Leyen und jetzt von Joachim Gauck. Dass es in manchen Fällen anders kommt, als Einzelne erhoffen, gibt mir Ruhe und Gelassenheit.

Ein Bundespräsident Wulff würde gelassener mit Kritik umgehen als ein Bundespräsident Köhler?

Da maße ich mir keine Antwort an. Für mich gilt der Satz: "Wer die Hitze nicht verträgt, darf nicht Koch werden." Allerdings habe ich ein Innehalten nach dem Rücktritt und der Festlegung auf die Präsidentschaftskandidaten vermisst.

Unter welches Leitmotiv wollen Sie Ihre Präsidentschaft stellen?

Die zentrale Aufgabe wird sein, Mut zu machen. Die deutsche Nation hat in der Vergangenheit gezeigt, dass sie große Krisen bewältigen kann.

Christian Wulff, der Mutmach-Präsident 2020?

Das Jahr 2020 nehme ich sehr konkret in den Blick. Die Gestaltung des demografischen Wandels ist eine große Aufgabe. Wir werden in absehbarer Zeit mehr Menschen über 80 haben als unter 20. Es kommt eine ganz neue Verantwortung auf Jüngere zu, die nicht überfordert werden dürfen. Wir werden Ältere viel mehr brauchen als in der Vergangenheit: ihre Erfahrung, ihren Einsatz. Als Bundespräsident werde ich meine Auftritte und Begegnungen nutzen, um Angst zu nehmen und Vertrauen zu schaffen.

Wann haben Sie eigentlich die Kanzlerin angerufen, um Ihr Interesse am höchsten Staatsamt zu bekunden?

Gar nicht. Es gab ein langes Gespräch am Dienstagabend. Am Mittwochmittag habe ich Angela Merkel gesagt, dass ich bereit wäre und mich freuen würde, wenn sie es durchsetzen könnte. Sicher, dass ich Kandidat würde, war ich mir, als ich am Donnerstagnachmittag ins Kanzleramt bestellt wurde und dort auf Horst Seehofer, Guido Westerwelle und Angela Merkel traf.

Von wem ging die Initiative aus: von Ihnen oder von der Kanzlerin?

Um das Amt des Bundespräsidenten bewirbt man sich nicht. Am Dienstagabend bin ich nach Berlin gefahren in der Erwartung, dass mich Angela Merkel für ihren Vorschlag gewinnen möchte, der Ursula von der Leyen, Wolfgang Schäuble oder anders hätte heißen können. Das Ergebnis des Gesprächs war: Angela Merkel konnte sich mich als Kandidat vorstellen. Ich bin nicht gedrängt worden, habe mich nicht beworben, aber die Chance beherzt ergriffen.

Nach allem Anschein hätte Angela Merkel lieber von der Leyen in Schloss Bellevue gesehen.

Die Zeit des Spekulierens ist vorbei.

Sie haben Ursula von der Leyen einst gefördert. Tut sie Ihnen jetzt leid?

Sie tut sich selbst nicht leid. Sie war erfolgreiche Familienministerin und verwaltet als Arbeitsministerin den größten Etat des Bundes. Ich würde mir selbst auch nicht leidtun, wenn ich Ministerpräsident von Niedersachsen bliebe. Das Amt des Bundespräsidenten ist eine Verantwortung, auf die man nicht hinarbeitet.

Von der Leyen hat sehr spät erfahren, dass sie nicht Kandidatin wird. Warum haben Sie es ihr nicht gesagt?

Weil ich es selbst sehr spät erfahren habe. Bei dieser sensiblen Frage lässt man den drei Parteivorsitzenden und den Parteivorständen den Vortritt.

Angenommen, Sie wären schon Präsident: Wie würden Sie die Bevölkerung auf die harten Einschnitte vorbereiten, die jetzt erfolgen?

Ein Bundespräsident sollte für Verständnis werben, dass niemand auf Dauer mehr ausgeben kann, als er zur Verfügung hat. Das zeigt das Beispiel Griechenland. Wir müssen eine Ausstiegsstrategie finden aus schuldenfinanzierter Krisenbekämpfung, wir müssen zurückfinden zu geordneten Haushalten. Diesen Wunsch sollte der Bundespräsident als Sachwalter von Bürgerinteressen aussprechen. Die Bürger sind über zu hohe Schulden zutiefst beunruhigt.

Nach einer Ruck-Rede hat das jetzt nicht geklungen.

Jeder Bundespräsident setzt seine eigenen Akzente, und das Amt gebietet Zurückhaltung.

Das Staatsoberhaupt verfügt vor allem über die Macht des Wortes. Sie sind bisher als guter, aber nicht als herausragender Redner aufgefallen. Werden Sie sich auf die neue Aufgabe besonders vorbereiten?

Meine Überzeugungskraft lag bisher immer in der Authentizität. Die Menschen wissen, dass ich sage, was ich meine und empfinde. Das hat mir ermöglicht, für meine Überzeugungen zu werben und Mehrheiten zu finden. Und es gibt mir auch Rückenwind im Amt des Bundespräsidenten.

Wenn doch etwas schiefläuft am 30. Juni in der Bundesversammlung, wollen Sie Ministerpräsident von Niedersachsen bleiben. Ginge das so einfach?

In der Vergangenheit haben vor allem Persönlichkeiten kandidiert, für die das der Abschluss ihrer Laufbahn war. Die Alternative war: Bundespräsident oder Pensionär. In meinem Fall ist das anders. Ich habe eine Nähe zu den Fragen junger Familien, zweier schulpflichtiger Kinder, eines kleinen Kindes. Über meine Frau kenne ich die Situation von Alleinerziehenden, die Schwierigkeiten, Familie und Beruf zu vereinbaren. Das ist der Reiz eines jungen Präsidenten, aber mit mir wäre auch sonst politisch weiter zu rechnen.

Mit Ihrer Frau Bettina wären Sie das jüngste Präsidentenpaar in der Geschichte der Bundesrepublik. Wen repräsentieren Sie? Die Generation Lena?

Ganz gewiss nicht. Das ist eine ganz andere Generation. Aber ich finde eben auch zu jüngeren Menschen guten Zugang.

Die First Ladies engagieren sich traditionell für soziale Zwecke. Welche Projekte unterstützt Bettina Wulff?

Da fragen Sie mal meine Frau nach dem 30. Juni.

Machen wir glatt.

Da müssen Sie natürlich einen Termin vereinbaren. Sie ist im Moment gefragter als ich. (lacht)

Gauck ist Ostdeutscher. Verstehen Sie sich als norddeutscher Präsidentschaftskandidat?

Ich verstehe mich als Deutscher und habe im 20. Jahr der Einheit das Bedürfnis, dass wir die unterschiedlichen Biografien berücksichtigen, aber doch die Unterscheidung zwischen Ost und West eher so wählen wie zwischen Nord und Süd.

Bundestrainer, Bundeskanzler, Bundespräsident - welches ist in diesem Sommer das schönste Amt?

Wenn Deutschland Weltmeister wird, fällt die Antwort leicht.