Der Kampf um die Köhler-Nachfolge. Ein Protokoll der dramatischen Stunden in Berlin

Berlin. Am Ende eines dramatischen Tages stand Christian Wulff als Bundespräsidenten-Kandidat fest. Danach sah es lange Zeit nicht aus.

11.28 Uhr: Das politische Berlin wird von einer Eilmeldung elektrisiert, die die Nachrichtenagentur AFP unter Berufung auf das ARD-Hauptstadtstudio verbreitet: "Von der Leyen als Kandidatin für das Präsidentenamt aus dem Rennen". Es verdichteten sich Hinweise darauf, dass die Arbeitsministerin - und hoch gehandelte Favoritin von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) für die Nachfolge von Horst Köhler - doch nicht zum Zuge komme. Andere Namen fallen in diesem Zusammenhang allerdings nicht - noch nicht.

Am Abend zuvor hatte es selbst rund um das Kanzleramt noch geheißen, dass der Weg für die Arbeitsministerin und Tochter des früheren niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht bereits frei geräumt sei. Sogar den Raum für einen gemeinsamen Auftritt der Kanzlerin mit den Parteivorsitzenden Guido Westerwelle (FDP) und Horst Seehofer (CSU) habe man schon mal reserviert. Im Regierungsviertel wachsen jetzt aber die Zweifel, ob von der Leyen tatsächlich die Nachfolgerin des so jäh aus dem Amt geschiedenen Horst Köhler wird. Nur: Wer könnte stattdessen zum Zuge kommen?

11.35 Uhr: Jetzt steigt auch die Deutsche Presseagentur, die von der Leyen noch sieben Minuten zuvor als "Favoritin" porträtiert hat, in den Spekulationsreigen ein: "Bundespräsident: Chancen für von der Leyen sinken". Stattdessen habe der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff nun "beste Chancen" auf den Job im Schloss Bellevue. Ausgerechnet Wulff, der Entdecker und Förderer Ursula von der Leyens - der Mann, der sie einst in die Politik holte. Als möglicher Kandidat gehandelt worden war auch er in den Tagen zuvor, als Favorit aber nie. Doch dann sickert durch, dass es Mittwochmittag ein Telefonat zwischen Angela Merkel und Christian Wulff gegeben haben muss. Wulff habe der Kanzlerin in dem viertelstündigen Gespräch bedeutet, dass er selbst gern ins Schloss Bellevue einziehen wolle, auch wenn er bislang noch nicht danach gefragt worden sei. Merkel habe das zur Kenntnis genommen. In der darauffolgenden Nacht, so heißt es nun, habe sich "das Ding gedreht".

11.49 Uhr: Jetzt meldet auch Reuters, dass sich die Gewichte "verschoben" hätten. Gemeint ist, dass die Kandidatur des Niedersachsen offenbar auch in anderen mächtigen Staatskanzleien Unterstützung findet - darunter Hessen und Baden-Württemberg. Der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer weist unterdessen darauf hin, dass ihm Wulff genauso recht ist wie von der Leyen, für die das CSU-Präsidium tags zuvor eigentlich bereits grünes Licht gegeben hatte. Die Kanzlerin habe "freie Hand" bei ihrer Personalauswahl. "Es liegt an ihr, einen Vorschlag zu unterbreiten." Von der Leyen sei bei den Bayern tendenziell noch unbeliebter als Wulff, heißt es aus Parteikreisen. Doch ist Wulff überhaupt schon durch?

"Der Gedankenprozess ist weit gediehen", sagt man in Berlin dazu nur - eine Entscheidung sei aber noch immer nicht gefallen. Jedenfalls gebe es nun "eine neue Situation", nachdem Wulff seinen Hut in den Ring geworfen habe. Mehrere Ministerpräsidenten der Union, ohnehin sauer, dass sie in der Vergangenheit zu häufig von Merkel im Regen stehen gelassen wurden, solidarisierten sich nun mit dem Kollegen.

13.17 Uhr: Die Nachrichtenagentur Reuters tickert, das Rennen um den Präsidentenkandidaten sei "wieder offen". Die Chancen für von der Leyen und Wulff stünden gerade 50:50. Bundeskanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel müsse noch Gespräche mit FDP-Chef Guido Westerwelle und CSU-Chef Horst Seehofer führen. Stellungnahmen aus der niedersächsischen Staatskanzlei sind dazu jedenfalls nicht zu erhalten. Merkel werde ihre Entscheidung womöglich beim Kamingespräch mit den Ministerpräsidenten am Abend bekannt geben. Allerdings seien "zwei protestantische Frauen an der Spitze des Staates" den Konservativen in der Union wohl doch nur schwer zu vermitteln. Wulff ist Katholik.

15.33 Uhr: Der niedersächsische Regierungschef präsentiert sich bei einem Termin in Cuxhaven in blendender Laune. Auf die Frage, ob er sich das Amt in Berlin vorstellen könne, antwortet er knapp: "In diesem Land wird man nicht einmal Oppositionsführer, wenn man auf Konjunktivfragen antwortet." Danach fliegt Wulff per Hubschrauber nach Berlin.

15.43 Uhr : Die "Bild"-Zeitung berichtet, dass Merkel sich inzwischen auf Wulff als Bundespräsidenten-Kandidat festgelegt habe. CSU und FDP seien mit der Kandidatur des Niedersachsen einverstanden. Daraufhin ziehen alle anderen Nachrichtenagenturen nach, um über die überraschende Wende im Politpoker im Bellevue zu berichten. SPD und Grüne geben kurz darauf bekannt, dass sie den DDR-Bürgerrechtler Joachim Gauck als Gegenkandidaten ins Rennen schicken wollen.

16.00 Uhr: Aus dem Kanzleramt verlautet, ein "Machtkampf" habe nicht stattgefunden. Schließlich sei Angela Merkel zu keinem Zeitpunkt auf von der Leyen festgelegt gewesen. Unter den CDU-Vorstandsmitgliedern, die ab 18.15 Uhr per Telefon konferieren, kursiert eine andere Lesart. Sie lautet: Merkel wurden diesmal die Grenzen aufgezeigt. Die Entscheidung für Wulff wird fast einhellig begrüßt. Die Ausnahme ist Saarlands Ministerpräsident Peter Müller.

19.30 Uhr: Merkel betritt mit Westerwelle und Seehofer die Fraktionsebene des Bundestags, um den Hauptstadt-Reportern das Votum der Koalitionsspitzen bekannt zu geben. Auch Wulff ist dabei. Mehrfach weist Merkel daraufhin, wie sehr sie sich über die Bereitschaft Wulffs freue, das Land zu repräsentieren. Christian Wulff sei ein Mensch, "der Neues ausprobiert, der kreativ ist, der auf die Menschen zugeht, und Christian Wulff ist gleichzeitig jemand, der einem Wertesystem verhaftet ist, das auch Orientierung gibt", sagt sie. Seehofer lässt sich danach nicht lumpen, auch das "Verfahren" der vergangenen Tage zu loben.