SPD und Grüne nominieren Joachim Gauck als Gegenkandidaten für das Amt des Bundespräsidenten

Hamburg. Er sei ein reisender Politiklehrer, hat Joachim Gauck Anfang dieses Jahres über sich gesagt. Er ist kein Profi im politischen Geschäft, er agierte nie im Zentrum der Macht. Und doch wurde Gauck als Leiter der Behörde für Stasi-Unterlagen zu einer prägenden Gestalt der deutschen Politik. Vor allem ist er ein unermüdlicher Aufklärer - auch jetzt noch mit 70 Jahren und fast zehn Jahre nachdem er sich von seinem Amt zurückgezogen hat.

Gauck ist parteiübergreifend anerkannt, er nennt sich selbst einen "linken liberalen Konservativen". Und vielleicht ist es gerade diese Eigenschaft, die sowohl SPD-Chef Sigmar Gabriel als auch Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin zu einer Nominierung Gaucks als Kandidaten für das Präsidentenamt überzeugten. Die beiden Oppositionsparteien wollen den Theologen und ersten Chef der Stasi-Unterlagen-Behörde gemeinsam ins Rennen um die Nachfolge von Horst Köhler schicken. Vor allem auch deshalb, weil sie mit dem Kandidaten der Unionsparteien, Christian Wulff, alles andere als zufrieden sind. Gauck soll bereits zugesagt haben, sich am 30. Juni dem Votum der Bundesversammlung zu stellen. Heute will ihn die Opposition in Berlin vorstellen.

Der gebürtige Rostocker wollte eigentlich Journalist werden, doch weil das Regime in der DDR seinen Vater 1951 wegen angeblicher Spionage zu "zweimal 25 Jahren" Straflager in Sibirien verurteilte, blieb ihm dieser Wunsch verwehrt. "Sie haben Vater abgeholt", hatte seine Mutter gesagt. Das Schicksal seines Vaters bestimmte Gaucks kritische Distanz zur DDR. Er wurde Pfarrer, weil das Studium der Theologie in der Diktatur einer der wenigen Auswege war für einen Abweichler wie ihn. In der Wendezeit schloss er sich der Bürgerrechtsbewegung an. Als er am 3. Oktober 1990 zum Bundesbeauftragten für die Stasi-Akten ernannt wurde, spinnt sich dieser rote Faden des Kämpfers gegen staatliches Unrecht in seinem Leben weiter.

Und als er sich im Herbst 2000 als Herr über die Aktenberge verabschiedete, hatte die Stasi-Unterlagen-Behörde bereits drei Viertel der 40 Millionen Karteikarten und Hunderttausende Bild- und Tondokumente erschlossen. Doch auch Kritik an ihm blieb nicht aus: Gauck geriet unter Beschuss, als bekannt wurde, dass seine Behörde einige ehemalige Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit beschäftigte.

Trotz dieser heftigen öffentlichen Diskussionen um seine Behörde ist Gauck ein Ostdeutscher, der schnell im Westen angekommen war.

Thüringens SPD-Chef Christoph Matschie nannte ihn gestern einen Kandidaten für die Bürger. "Joachim Gauck ist einer, der die gesamte Gesellschaft repräsentieren kann", sagte Matschie der "Leipziger Volkszeitung".

Eigentlich hat Gauck bei der Wahl am 30. Juni kaum Chancen. Denn die Mehrheit in der Bundesversammlung spricht für Union und FDP mit ihrem Kandidaten Christian Wulff. Und doch zieht die Opposition mit Gauck einen politischen Joker. Für Christian Wulff und die Union ist er vielleicht der gefährlichste Gegenkandidat. Gauck ist ein guter Redner und hat auch zu Kanzlerin Merkel ein gutes Verhältnis. Er ist ein Kandidat, der über die Grenzen der Fraktionen hinaus wählbar ist. Schon in den vergangenen Jahren ist er immer wieder für das höchste Amt im Staate gehandelt worden: 1999 waren es sogar CSU-Kreise, die Gauck als möglichen Bundespräsidenten ins Gespräch brachten. Das weiß auch die Kanzlerin, wenn sie am 30. Juni auf eine Mehrheit für ihren Kandidaten Wulff setzen muss.