Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg besucht nach dem Tod dreier Soldaten das Bundeswehrlager in Kundus. Dabei verspricht er der Truppe bessere Ausrüstung.

Kundus. Der Name des Bundeswehrstützpunktes in Kundus klingt wie aus der Zeit gefallen. Das Feldlager im Nordostzipfel Afghanistans nahe der tadschikischen Grenze trägt den Titel "Provincial Reconstruction Team", regionales Wiederaufbauteam. Als die deutschen Soldaten im Oktober 2003 hierherkamen, hatte das seine Berechtigung.

Damals sollte die Bundeswehr den Aufbau der Infrastruktur in dieser fruchtbaren Gegend unterstützen, die der "Brotkorb Afghanistans" genannt wird. Der schwere Lössboden bringt zwei Ernten im Jahr hervor, ein jahrhundertealtes Bewässerungssystem ermöglicht diese Fülle und taucht die Region in satte Grüntöne.

Heute aber ist die Provinz eine Brutstätte des Terrors, die radikalislamischen Taliban nutzen die Bewässerungsgräben als Tarnung für ihre Angriffe auf die Bundeswehr. Die außer Kontrolle geratene Sicherheitslage rund um die Provinzhauptstadt ist der Grund, warum Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) die Mission in Afghanistan umgetauft hat: Aus dem Stabilisierungseinsatz ist ein Krieg geworden. Und aus dem Wiederaufbau- ein Selbstverteidigungsteam.

Das ist bei Patrouillen ständig der Gefahr von Hinterhalten ausgesetzt. An Entwicklungsprojekte ist nicht zu denken. Sogar ein früher unproblematischer Besuch des Ministers in dem Feldlager ist mittlerweile eine brisante Angelegenheit.

Vorigen Sonntag hatten der afghanische Präsident Hamid Karsai und Stanley McChrystal, Chef aller Nato-Truppen am Hindukusch, eine Visite bei den 300 Soldaten in Kundus angekündigt. Doch die Taliban bekamen Wind davon. Sie beschossen das Lager nebst Flughafen mit Raketen, und der hohe Besuch sagte das lange geplante Treffen kurz entschlossen ab. Guttenbergs Reise am Mittwoch wurde deshalb bis zuletzt geheim gehalten.

Absagen aber wollte er den Truppenbesuch auf keinen Fall. Sich die Rhetorik der Soldaten zu eigen zu machen und von Krieg zu sprechen ist das eine. Das andere ist, sich vor Ort selbst ein ungeschminktes Lagebild zu verschaffen. Guttenberg wollte ungefilterte Eindrücke von der militärischen Situation und der Stimmung seiner Soldaten. Denn was in Berlin an Papieren auf seinem Schreibtisch ankommt, hat die Kantenschleifmaschine des Berichtwesens in Bundeswehr und Ministerium hinter sich.

Die Tragödie von vor zehn Tagen, als ein Minenräumtrupp in eine Falle der Aufständischen gelockt worden war und drei deutsche Soldaten fielen, hatte eine heftige Debatte über Ausrüstungsmängel der Truppe ausgelöst - nicht zu Unrecht, wie der Minister erfahren sollte.

Seinen Besuch beginnt Guttenberg, der vom Generalinspekteur und einer Delegation von Verteidigungs- und Außenpolitikern des Bundestags begleitet wird, im Ehrenhain des Lagers. An der schlichten Mauer sind auf Kupferschildern die Namen der 17 bislang in der Region getöteten Bundeswehrsoldaten angebracht - das ist fast die Hälfte der 39 deutschen Gefallenen im Land.

Manche Tafeln sind schon dunkel angelaufen, die drei der Karfreitagsopfer Hartert, Bruns und Augustyniak glänzen in der Sonne. "Ich möchte meinen Dank und auch meinen Stolz auf das, was Sie in den vergangenen Wochen geleistet haben, zum Ausdruck bringen", sagt Guttenberg.

Auch der amerikanischen Hubschrauberstaffel, die den Deutschen nach dem Anschlag zu Hilfe geeilt war und die Verwundeten ausgeflogen hatte, überbringt der Minister den "Dank und Respekt der deutschen Regierung. Sie haben Ihr Leben riskiert, um unsere Soldaten zu retten, und gezeigt, was der Begriff der Allianz bedeutet." Die Amerikaner bekommen eine Tapferkeitsmedaille, und allen gibt Guttenberg mit auf den Weg, dass "es weitergehen muss und wir auf Ihre Kraft angewiesen sind, um daheim in Sicherheit leben zu können."

Der Auftritt kommt an bei den Soldaten. Die US-Fliegerstaffel lässt den Minister wissen, "dass deine Jungs hier einen guten Job machen. Sag den Deutschen, dass sie stolz auf ihre Helden sein können." Den deutschen Soldaten ist eine derart pathetische Wortwahl eher fremd. Aber auch sie finden es "gut und richtig, dass der Minister persönlich zu uns kommt. Dadurch fühlt man die eigene Arbeit ernst genommen und auch anerkannt."

Allerdings belässt es die Truppe nicht bei Lob. Grundsätzlich sei die Bundeswehr zwar besser ausgerüstet als viele Verbündete. Aber auf Nachfrage erfährt Guttenberg dann doch von einer langen Wunschliste. Die beginnt bei Kleinigkeiten wie modernen und mit der Afghanischen Nationalarmee ANA kompatiblen Funkgeräten oder einem einsatzgerechten Gehör- und Augenschutz, der nicht erst in Afghanistan ausgehändigt wird, sondern schon bei der Einsatzvorbereitung zur Verfügung steht. Sie geht weiter mit der Feststellung, dass von den 52 gepanzerten Fahrzeugen des Typs Dingo II derzeit nur 42 zur Verfügung stehen - wegen Ersatzteilmangels. Auch von den acht Marderpanzern sind nur fünf einsatzbereit.

Und die Liste endet mit dem Wunsch nach schwerem Gerät wie Kampfhubschraubern oder der Panzerhaubitze 2000. Ein Zugführer erzählt, wie er vor ein paar Tagen mit seiner Aufklärungseinheit ausrückte und Feindkontakt hatte. "Nur durch die Unterstützung eines US-Kampfhubschraubers konnten wir verhindern, dass die Aufständischen uns in die Flanke fielen", sagt er. Der Helikopter habe gar nicht schießen müssen, allein die Luftaufklärung der Kameraden sei eine wertvolle Hilfe gewesen: "Das lässt sich allein mit unbemannten Drohnen und vom Boden aus nicht leisten."

Für den SPD-Außenpolitiker Hans-Ulrich Klose gibt es nach den Gesprächen mit den Soldaten "keinen Zweifel mehr, dass wir dringend mehr Hubschrauber brauchen". Weil die Bundeswehr aber selbst nicht über entsprechendes Gerät verfügt, "müssen wir hoffen und drängen, dass die Amerikaner da was machen".

Vor seiner Abreise aus Kundus räumt der Minister "Nachbesserungsbedarf beim Material" ein. Als Sofortmaßnahmen verspricht er zwei Panzerhaubitzen, zwei Panzerabwehrlenkwaffen des Typs TOW, weitere Schützenpanzer Marder und "kleinere Maßnahmen".

Den Schutz der Soldaten wird das kurzfristig verbessern. Bis das Lager in Kundus seinem Namen als "Wiederaufbauteam" wieder gerecht werden kann, wird es allerdings noch dauern.