Die Kanzlerin bricht ihren Urlaub ab und kommt nach Selsingen zur Trauerfeier für die in Afghanistan getöteten Bundeswehrsoldaten.

Berlin. Offenbar hat sich die Kritik aus der Ferne zunächst nicht so brisant angefühlt. Jedenfalls hat Angela Merkel (CDU) eigentlich nicht vorgehabt, an der Trauerfeier für die in Afghanistan getöteten Bundeswehrsoldaten teilzunehmen, die heute im niedersächsischen Selsingen stattfinden wird. Noch am Mittwochabend hatte es geheißen, dass allein Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) die Bundesregierung bei der Gedenkveranstaltung vertreten werde.

Gestern Morgen nahm der Druck auf die Kanzlerin dann noch einmal zu. Parteiübergreifend mehrten sich die Stimmen, die Merkels Anwesenheit bei dem Staatsakt forderten. Der CDU-Bundestagsabgeordnete und Chef der Jungen Gruppe in der Unionsfraktion, Marco Wanderwitz, sagte der "Bild"-Zeitung: "Vor dem Hintergrund der Afghanistan-Debatte wäre es auch gesellschaftlich ein schönes Signal, wenn die Bundeskanzlerin jetzt darüber nachdenkt, persönlich an der Trauerfeier teilzunehmen." Auch der FDP-Verteidigungsexperte Burkhardt Müller-Sönsken sprach sich dafür aus und meinte: "Alle Abgeordneten, die dem Afghanistan- Einsatz zugestimmt haben, sollten darüber nachdenken." Aus den Reihen der SPD kamen ähnliche Stimmen. Verteidigungsexperte Hans-Peter Bartels sagte der Zeitung, es falle auf, dass sich die Kanzlerin beim Thema Afghanistan demonstrativ zurückhalte. "Es wäre gut, wenn Frau Merkel mehr Flagge zeigt, das könnte zum Beispiel auch durch die Teilnahme an der Trauerfeier passieren." Und sein Kollege Johannes Kahrs erklärte, die letzte Ehrerweisung der Kanzlerin für die Toten "wäre auch eine wichtige Geste an die Bundeswehr".

Spätestens da müssen die Drähte zwischen Berlin und Gomera geglüht haben, denn um kurz nach zehn hieß es aus gut informierten Kreisen, die Kanzlerin werde ihren Urlaub auf den Kanarischen Inseln abbrechen. Um halb elf war es dann amtlich. Ein Regierungssprecher verkündete in Berlin, die Teilnahme an der Trauerfeier sei der Kanzlerin "ein persönliches Anliegen".

Es war, um im Reise-Jargon zu bleiben, eine Last-Minute-Entscheidung. Die Trauerfeier wird übrigens ab 14 Uhr von Phoenix live aus der St.-Lamberti-Kirche in Selsingen bei Bremen übertragen.

Während die Kanzlerin umbuchte, schloss der neue Generalinspekteur der Bundeswehr, Volker Wieker, den Einsatz schwerer Artillerie-Geschütze vom Typ Panzerhaubitze 2000 in Nordafghanistan nicht mehr aus. "Ich verlasse mich auf den Rat der Kommandeure vor Ort", sagte Wieker der "Bild"-Zeitung. "Wenn man dort zu der Einschätzung gelangt, dass das notwendig und hilfreich ist, werden wir uns dem nicht verwehren." Wieker ist seit Januar Generalinspekteur und damit der oberste Soldat der Bundeswehr.

Über den Einsatz der Panzerhaubitze, einem Geschützsystem, das Ziele in 30 bis 40 Kilometer Entfernung treffen kann, wird schon seit einiger Zeit kontrovers diskutiert. Wieker räumte zudem ein, dass der Bundeswehr zu wenig gepanzerte Fahrzeuge vom Typ Dingo zur Ausbildung der Soldaten zur Verfügung stünden. Die Forderung nach dem Einsatz von Kampfpanzern des Typs Leopard 2 wies Wieker hingegen zurück. Diese Art der Abschreckung wirke in Afghanistan nicht, argumentierte er. Außerdem werde die Bevölkerung durch solche Panzer eher verstört. Den Einsatz von Leopard-Panzern in Afghanistan hatte der designierte Wehrbeauftragte des Bundestags, Hellmuth Königshaus (FDP), gefordert.