“Wir brauchen jetzt eine Gesamtlösung.“ FDP kontert: Unser Deutschlandplan heißt Koalitionsvertrag.

Berlin. Die Freude in der Berliner FDP-Zentrale hielt sich gestern in Grenzen, als Zitate aus Horst Seehofers Interviews mit dem "Stern" und der "Süddeutschen Zeitung" bekannt wurden. Seehofer hatte in beiden Gesprächen Abschied von der im Bundestagswahlkampf noch selbst propagierten Idee genommen, Steuersenkungen quasi um jeden Preis zu beschließen.

"Wir brauchen jetzt eine Gesamtlösung, einen 'Deutschland-Plan' für die kommenden Jahre", forderte Bayerns Ministerpräsident stattdessen. Es gelte, alles nebeneinanderzulegen - "Steuern, Bildungsinvestitionen, die Zuschüsse zur Sozialversicherung und die Schuldenbremse" - und dann politisch darüber zu entscheiden, mit welcher Priorität und in welchem Umfang die jeweiligen Dinge in Angriff genommen werden müssten. "Ich erinnere daran: Wir haben in der Koalition klar vereinbart, dass die Haushaltskonsolidierung genauso wichtig ist wie die Steuerentlastung. Da gibt es kein Entweder-oder", begründete Seehofer seinen Meinungsumschwung.

Bei den Liberalen reagierte man einigermaßen entgeistert. An einer "weitergehenden Agenda neben den Themen steuerliche Entlastung, Gesundheit und Bildung wird bereits gearbeitet", hieß es nur. Und der von Seehofer eingeforderte "Deutschlandplan" sei eigentlich der Koalitionsvertrag. Doch nach Informationen des Abendblatts sieht man auch in der Führung der durchaus Seehofer-kritischen CSU-Landesgruppe des Deutschen Bundestags die Notwendigkeit, eine echte Agenda für die kommenden dreieinhalb Regierungsjahre zu entwickeln. Der nur bedingt aussagekräftige Koalitionsvertrag könne dafür allenfalls Grundlage sein, wird argumentiert. Bei den Liberalen hält man es hingegen für vollkommen ausreichend, wenn sich die Regierung zunächst daranmacht, die im Koalitionsvertrag verankerte Umstellung der Krankenversicherung auf einkommensunabhängige Beiträge und die geplanten Steuersenkungen umzusetzen. Seehofer fordere nur deshalb eine neue Agenda ein, weil ihm diese Richtung nicht passe.

Tatsächlich wurde auch in der Schwesterpartei CDU aufmerksam registriert, dass die CSU vom Thema Steuersenkungen seit der Bundestagwahl nicht mehr viel wissen will. Dazu passt, dass sich Seehofer jetzt in der "Süddeutschen Zeitung" erfreut darüber zeigte, dass die FDP nicht länger auf der Forderung beharrt, die angestrebten Entlastungen nicht unbedingt schon 2011 umzusetzen. "Ich habe das mit freudigen Gefühlen registriert", sagte er. Auf Aussagen von FDP-Generalsekretär Christian Lindner, es sei die Forderung der CSU gewesen, die Steuern schon ab 2011 zu senken, entgegnete Seehofer: "Dies nötigt mir ein Schmunzeln ab. Bei den Koalitionsverhandlungen hatte ich nicht den Eindruck, dass die FDP uns hinterherhechelt."

Union und FDP hatten im Koalitionsvertrag für die laufende Legislaturperiode Steuerentlastungen in Höhe von 24 Milliarden Euro vorgesehen, davon wurde ein Teil bereits zum Jahresbeginn 2010 umgesetzt. Im Koalitionsvertrag heißt es, der geplante neue Steuertarif zur Entlastung der unteren und mittleren Einkommensschichten solle "möglichst" Anfang 2011 in Kraft treten. Details über die Steuerreform will die Koalition nach bisherigem Stand erst nach der Steuerschätzung am 5. Mai vorlegen. Allerdings verdichten sich in Berlin die Hinweise darauf, dass einige Punkte noch vor der Landtagswahl in NRW am 9. Mai präsentiert werden sollen, um ein Signal schwarz-gelber Handlungsfähigkeit auszusenden.

Was den Umfang der angestrebten Entlastungen angeht, werden die Erwartungen in Koalitionskreisen weiter heruntergeschraubt. So sagte Unions-Vizefraktionschef Michael Fuchs der "Passauer Neuen Presse", er denke, dass die Steuerschätzung im Mai "keine großen Spielräume für schnelle Steuersenkungen" eröffnen werde. Zur Gegenfinanzierung möglicher Steuerentlastungen ab 2012 forderte Fuchs Subventionskürzungen "nach dem Rasenmäherprinzip". Beim Herausgreifen einzelner Interessengruppen würden diese sonst "nach dem Sankt-Florians-Prinzip rufen, ,Verschon mein Haus, zünd andere an'".